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Es war einmal eine Love Parade

Die 10. Liebesparade ist schon lange nicht mehr das, was sie einmal war. Die Technoparty gibt sich heute als Megatourismus-Import. Und die Berliner Raver bleiben daheim  ■ Von Harald Peters

Sie begann einst am Kurfürstendamm, endete später an der Siegessäule, wuchs stetig unter der Sonne, die auf den Kopf derer schien, die immer nur Gutes wollten. Die für Frieden und gegen Krieg waren, die aber auch Kopfschütteln produzierten, und deren Veranstalter sogar Klagen provozierten. Zu Diskussionen reizte die Love Parade immer, die neben Müll auch Geld in die Stadt brachte, das jedoch auf irgendwelchen Konten landete, die wiederum nicht denen gehörten, die den dummen Müll dann wegputzen mußten.

Schon in ihren Anfängen hörte der Spaß auf. Wer soll das bezahlen? Wer ist hier verantwortlich? Und: Wer kümmert sich um die Botanik? Denn der Umzug führte durch den Tiergarten hindurch, und weil der Umzug größer wurde, als die Marschroute breit, betraten zunächst einzelne und später dann immer mehr ungebeten die grüne Lunge Berlins. Hatte Techno seine Unschuld verloren?

Denn Bäume können sich weder beschweren noch flüchten und bedurften deshalb dringend der Fürsprache. Und wer hatte ein größeres Herz als der Vater des Gedankens, der Erfinder des Umzugs, den man Jahr für Jahr, wenn es Sommer wurde, im Grunewald beim Pilzesammeln auflas.

Man erzählte ihm, daß es den Bäumen schlecht gehe, daß sie drohten, zugemüllt, in Urin ertränkt und totgetanzt zu werden, wenn er nicht Einhalt gebiete, er, der für Frieden, gegen Krieg und bestimmt auch für Bäume sei. Also gebot er Einhalt. Damals entdeckte der Erfinder des Umzugs seine spirituelle, ganzheitliche Ader.

Er entdeckte den Himmel, die Erde und die Dinge dazwischen, er wurde nachdenklich. Der Erkenntnisgewinn bewog ihn dann zur Stadtflucht. Seither sammelt er seine Pilze im Brandenburgischen und interessiert sich dabei immer noch ganz toll für Techno, Tiergarten und Tibet.

Die Love Parade ist nicht mehr das, was sie einmal war, nicht einmal mehr das, was sie einmal wurde. Die Musik? Egal. Der Drogenmißbrauch? Wen kümmert es? Die Botanik? Wächst nach. Der Müll? Wird weggeputzt.

Und der Lärm? Nachdem in den letzten Jahren ein Elternpaar auf dem Rücken ihres Kleinkindes verhaltensauffällig wurde, und stellvertretend eine Klage gegen den vermeintlichen Lärm einreichte, sucht man vergleichbare Beschwerden heuer vergebens. Denn Bäume haben keine Ohren, und Kinder finden Krach bekanntlich super.

Super Love Parade? Die Love Parade ist super! Und mehr wohl kaum. Zum einen ist sie die einzige wirkliche touristische Attraktion, die Berlin zu bieten hat, zum anderen ist sie die einzige touristische Attraktion, die nach absehbarer Zeit die Koffer packt, sich zerstreut und verschwindet. Das hat zweifellos seine Vorteile. Bemüht man zum Beispiel einen Direktvergleich mit dem Brandenburger Tor, spricht folgendes für die Parade.

Sie wandelt sich, sie bewegt sich, und wenn sie keiner mehr will, sie also irgendwann ihrer Basis verlustig geht, steht sie nicht mehr störend in der Gegend herum. Dann ist sie kurzum weg, während das alte Brandenburger Tor noch steht, wo man es für die Ewigkeit einst hingestellt hat. 1:0 für die Love Parade.

Tatsächlich kann man sogar schon heute so weit gehen und behaupten, daß die Love Parade zumindest in Berlin keine Basis mehr hat. Sie hatte sie zwar einmal, damals in der Anfangszeit, als ihr Erfinder, wie es der Gründermythos will, für Frieden, gegen Krieg, mit Techno und ein paar Freunden an einem Samstag über den Ku'damm zog.

Sie hatte sie auch noch später, als sich ihre Größe von Jahr zu Jahr verdoppelte, und Techno noch boomte. Doch heute kommt die Love Parade nicht mehr aus Berlin, sie kommt nur Jahr für Jahr nach Berlin. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer sind jeweils Bestandteile der Attraktion, die zu erleben sie gekommen sind. Sie erleben die Love Parade, die sie selbst bilden, sie erleben sich selbst durch die Love Parade, die Love Parade erlebt sich durch die Love Parade selbst und so weiter. Und jeder darf mitmachen, jeder darf die Love Parade sein.

Das beantwortet dann auch die ewige Frage nach dem politischen Anspruch. Die Love Parade ist quasi die einzige total demokratische Sehenswürdigkeit, jedenfalls viel demokratischer als das Brandenburger Tor.

Das darf man nämlich nur angucken. Und das ist deshalb, ob offen oder zu, entgegen aller Bedeutungszuschreibungen in dieser Hinsicht exklusiv. Also: 2:0.

Auch, daß die Love Parade im Grunde nichts mehr mit Berlin zu tun hat, zeigt sich als Vorteil. Man muß ja froh darüber sein, daß es sich so viele zur Gewohnheit gemacht haben, einmal im Jahr nach Berlin zu reisen, um für die Love Parade zu sorgen.

Zwar wird oft mokiert, daß man bei der Love Parade eine Spielart von Techno pflegt, die den Hörgewohnheiten Berliner Clubgänger so gar nicht entspricht, aber das sollte man tolerieren, schon der Gastfreundschaft wegen.

Die Besucher aus der ost- und westdeutschen Provinz mögen ihren Bums-Techno, also sollen sie ihn haben. Die Hiesigen mögen sich diesen Techno, wenn schon nicht aus Spaß, dann unter historischen Aspekten anhören. Würden nämlich Berliner auf der Marschroute für die Beschallung sorgen und flotten Minimal-Techno oder frickeligen Drum 'n' Bass auflegen, dann gäbe es vielleicht auch einen hübschen Umzug mit hübscher Musik, die Gäste aber würden zu Hause bleiben.

Dann würde sich die Parade als eine Veranstaltung von Berliner für Berliner zeigen. Was zur Folge hätte, daß kein Geld in die Stadt käme. Dann machte die Love Parade keinen Umsatz. Denn die Berliner essen daheim, trinken daheim und schlafen daheim. Wie man hört, mögen sie in letzter Zeit auch nicht mehr so gerne ausgehen.

Damals, vor der Kommerzialisierung und der extensiven touristischen Ausnutzung, war die Love Parade deshalb auch für die Stadtoberen von geringem Interesse, wenn nicht gar ein Ärgernis. Viel Müll, wenig Geld.

Daß sich erst seit 1997 Klaus- Rüdiger Landowsky, seines Zeichens CDU-Fraktionsvorsitzender, und in diesem Jahr auch Kultursenator Peter Radunski (ebenfalls CDU) und Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) vehement für die Love Parade einsetzen, mag viele peinlich berühren, weil sie die Parade in der Flaute sehen. Doch diese Einschätzung ist sowohl geschmäcklerisch (doofe Musik) als auch elitaristisch (Ausverkaufsvorwürfe, falsches Publikum).

Tatsächlich kommt das Engagement von Seiten der Politik gerade rechtzeitig. Erst jetzt läßt sich die Love Parade gut verkaufen, erst jetzt bringt sie Geld in die gähnend leeren Stadtkassen. Dagegen kann niemand etwas haben.

Zumal das auch ganz andere hübsche Randerscheinungen zeitigt. Denn weil es sich finanziell lohnt, legen die politisch Verantwortlichen ihre Hand schützend über eine Party, die auch im Konsum illegaler Drogen einzigartig sein dürfte. Da freuen sich die User, da freuen sich die Dealer, und weil Drogen immer so durstig machen, freut sich auch die Getränkeindustrie. Überhaupt sitzt auf Drogen die Mark immer ein wenig lockerer.

Auch darum ist die Love Parade plötzlich so beliebt. Und dieses Berliner Modell kann Schule machen, schließlich werden die Bilder der vom Mischkonsum gezeichneten und dank Speed, Ecstasy, Kokain und Bier fröhlich herumhüpfenden Raver weltweit vom Fernsehen übertragen. Was vermeintliche Fachleute jahrelang verschwiegen haben, ist plötzlich sichtbar für alle. Drogen machen Spaß, und tot geht man auch nicht gleich davon. Erst finanzielle Gesichtspunkte führten zu dieser wenn auch temporären Liberalisierung. Und das wirft gewisse Fragen auf.

Sollte man nicht auch ganz andere Berliner Phänomene kommerziell ausnutzen und dabei im Ansehen aufwerten, so daß gewissermaßen alle etwas davon haben? Die Revolutionäre 1.-Mai-Demo zum Beispiel? Hundehaufen? Oder Neukölln?

Hier liegt also noch einiges brach, hier gibt es noch viel zu tun.

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