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ÖkolumneEin neuer Blick für das Ganze muß her

■ Die Vielzahl an Expertengremien verdeckt nur die Erstarrung der Politik

Große Zukunftsentwürfe kommen im alltäglichen Kleinkrieg schnell unter die Räder. Ist unser System eigentlich noch zeitgemäß? Kann es Arbeitsplätze schaffen, die Wirtschaft leistungsfähig erhalten und gleichzeitig unsere natürlichen Lebensgrundlagen? Bereits vor sechs Jahren wurde auf dem Umweltgipfel der Vereinten Nationen in Rio das Prinzip der Nachhaltigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft als Antwort formuliert, als das Leitbild der Moderne.

Auch die Bundesrepublik hat die Rio-Erklärungen unterzeichnet, doch den hehren Worten folgte kein entschlossener Neuanfang. Statt dessen entstanden immer neue Gremien von Experten, die ständig neue Berichte lieferten, denen bloß weitere Gremien und Berichte folgten. Die meisten Ideen versackten im Sumpf der Bürokratie. Inzwischen ist klar: Ohne eine Entrümpelung der politischen Strukturen, gibt es auch keine neue Politik.

In vielen Industriebetrieben wird bereits selbstverständlich vernetzt und projektorientiert gearbeitet, wie es das Leitbild Nachhaltigkeit fordert. Doch in der Politik herrscht noch immer das Ressortdenken von Ministerialbürokraten vor, bleiben gute Ideen im Gestrüpp unzähliger Beratungsgremien stecken. Es ist paradox: Die Politik soll die natürlichen Lebensgrundlagen vor den Gewinninteressen einzelner Unternehmen schützen und soziale Mindeststandards sichern. Doch ihr bürokratischer Aufbau hinkt weit zurück hinter den innovativen Strukturen der Wirtschaft.

Woran liegt das? Fast auf jedes neue Problem, wenn es sich denn einmal auf dem Weg durch die Instanzen seinen Platz erobert hat, wird heute wie vor Jahrzehnten immer gleich reagiert: Berichte werden geschrieben, eine Einrichtung geschaffen, neue Spezialgremien etabliert. So wuchsen aus dem Innenministerium mit den Jahren eine ganze Reihe fachbezogener Ableger, auch das Umweltministerium. Bereits 1984 bestand das Beratungs- und Kommissionswesen der Bundesregierung aus 528 Gremien mit mehr als 7.000 Mitgliedern – übrigens fast ausschließlich Männer.

Heute sind es noch viel mehr. Da tagt die Artenschutzkommission neben der Pappelkommission, und die Kosmetikkommission weiß vielleicht nicht, was die Trinkwasserkommission tut. Sie legen ihre Arbeit in Berichten nieder, derzeit sind es 130 ausführliche Dokumente, die dem Parlament allein von der Bundesregierung vorgelegt wurden.

Schon eine bessere Kooperation zwischen bestehenden Gremien, etwa dem Sachverständigenrat für Umweltfragen und dem Rat der Fünf Wirtschaftsweisen, könnte Ressourcen sparen und Nachhaltigkeit voranbringen. Doch die Abstimmung zwischen den Ministerien und ihren vielen „nachgeordneten“ Gremien funktioniert nicht. Das Amtsdeutsch ist schon verräterisch: „Nachgeordnet“ klingt nicht gerade nach modernem Management, nach Vernetzung und flachen Hierarchien, die moderne Unternehmen erfolgreich machen. Die Bundesumweltministerin hat als Animateurin in Sachen Nachhaltigkeit gründlich versagt – von der fehlenden Moderation des Kanzlers ganz zu schweigen.

Bei uns beharren die Ressorts stur auf ihren Positionen, zieht das Umweltministerium regelmäßig den kürzeren gegen die Ministerien für Wirtschaft, Bauen oder Landwirtschaft. Großbritannien ist da weiter: Dort setzte die Labour-Regierung in jedem Ministerium green ministers für Nachhaltigkeit ein. Einer der Staatssekretäre übernimmt diese Aufgabe, vernetzt mit seinen Kollegen in den anderen Ministerien. Auch das Parlament richtete einen Nachhaltigkeitsrat ein.

Nun kann „Nachhaltigkeit“ nicht von oben verordnet werden. Das Thema muß auf allen Ebenen der Gesellschaft, vom Bürger über die Kommunen bis in die Betriebe, weit oben auf die Tagesordnung kommen. Nur so werden neue Techniken und Globalisierung mehr Chancen als Risiken bieten.

Deutschland hat zuwenig Beteiligung und zuwenig Querschnitt. Dabei kann ausnahmsweise ein neues Gremium helfen, wenn es denn richtig konstruiert ist und an anderen Stellen gestrafft wird: ein machtvoller Nachhaltigkeitsrat, angesiedelt ganz oben beim Bundeskanzleramt, ausgestattet mit dem Recht zur Selbstbefassung, besetzt mit Sachverständigen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften, unabhängig von den Legislaturperioden. So könnte die Politik endlich den Blick fürs Ganze zurückgewinnen. Marion Caspers-Merk

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