: „Jenkelweg ist scheisse. Cool“
In einer Straße in Billstedt, in der früher zwischen Jugendgangs die Fetzen flogen, planen jetzt Jugendliche, Polizei und Verwaltung gemeinsam die Umgestaltung einer Wiese zur Freizeitfläche ■ Von Heike Haarhoff
Sie stehen im Regen. „Vielleicht sollten wir irgendwohin gehen, wo es nicht ganz so naß ist“, fragt Iris Hollmann in die Runde und versucht, ihren Stöckelabsatz möglichst ohne Schaden aus der aufgeweichten Wiese herauszuziehen. Der Polizist, der Sozialarbeiter, der Herr vom Sportamt, die Stadtplanerin und Wolfgang (23), Christian (24), Christoph (23), Markus (19) und Taju (21), „unsere wirklich sehr engagierten Jugendlichen aus dem Jenkelweg“, sehen Frau Hollmann vom Jugendamt Mitte freundlich-verständnislos an.
Markus läßt ein gedehntes „najaaa“ vernehmen, so als brauche er Zeit, die verschiedenen Unterschlupfmöglichkeiten durchzugehen, die es alle nicht gibt hier am Jenkelweg in Hamburg-Billstedt: Da wären die backsteinroten Wohnsilos, neun bis zwölf Stockwerke hoch, mit ihren tristen Hauseingängen, aber „da schmeißen sie uns immer raus“. Das Parkdeck auf der anderen Straßenseite ist auch nicht gerade einladend, und Schutz vor Wolkenbrüchen mitten im Juli bietet es schon gar nicht.
Das Umkleidehäuschen von Wacker 04, dem Fußball-Oberligisten, „dem besten Verein aus Billstedt“, sagt Markus nicht ohne Stolz, ist tabu. „Vor ein paar Jahren sind da mal Steine von oben drauf geflogen, und da hieß es: Das sind die vom Jenkelweg“. Bleiben die paar Bäume am Rand der großen Wiese neben dem Fußballplatz. Das Grüppchen setzt sich in Bewegung.
Je dicker die Regentropfen fallen, desto klarer wird allen, „daß wir einen Unterstand brauchen, am besten einen mit Strom, damit wir uns auch abends treffen können“, sagt Christian. Aus diesem Grund hatte Iris Hollmann das Treffen Mitte der vergangenen Woche auch organisiert: Die Jugendlichen sollen – in Zusammenarbeit mit der Verwaltung, der Polizei und ihren Betreuern – die Wiese am Rand ihrer Siedlung, die ihnen die Stadt als Freizeitfläche überlassen will, selbst „überplanen“. 190.000 Mark haben Bezirk und Stadtentwicklungsbehörde dafür zur Verfügung gestellt, wohlwissend, daß nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz Jugendliche an städtebaulichen Planungen zu beteiligen sind, zumal an solchen, die für sie bestimmt sind (siehe oben).
Ideen gibt es genug: Basketballkörbe und ein Volleyball-Netz mit zwei Stangen werden gebraucht, vor allem aber ein Ort, „wo auch die Kleineren hier aus der Straße Backgammon und Karten spielen können, wo sie ihre Kassettenrekorder mitbringen und Musik hören“, schlägt Christoph vor, „vielleicht ein kleines Holzhäuschen“. „Ein offener Unterstand“, korrigiert ihn Karl-Folker Schmitt, der Polizist: „Ein geschlossenes Haus ohne Betreuung, das klappt nie und nimmer.“ Seit knapp drei Jahren arbeitet der 58jährige als bürgernaher Beamter am Jenkelweg.
Wenige Monate, nachdem er seine Arbeit aufgenommen hatte, flogen am Jenkelweg die Fetzen: Die kleine Straße war zum Treffpunkt verschiedener Jugendgangs geworden, deren Beziehungen nicht eben freundschaftlich genannt werden können. „Wir hatten eigentlich nie einen richtigen Treffpunkt hier“, erklärt Christoph, „und dann ist man halt rumgefahren und hat Scheiße gebaut“. Welche genau? „Naja, Unsinn gemacht.“ Nachts Gullydeckel auf die Straße klatschen lassen zum Beispiel. In den Hauseingängen zum Frust der Nachbarn spätabends trommelfellzerreißende Techno-Bänder abspielen. „Fünfmal“, sagt Christoph, „war die Polizei da“. Mindestens.
Weil einige sich erst betranken und dann Moped fuhren. Oder hinten, wo die Mülltonnen stehen, zündelten. Sich gegenseitig provozierten, anpöbelten, prügelten. „Jenkelweg ist scheisse“, steht auf einer rostigen Stellwand. „Cool“ hat jemand wie zum Gegenbeweis darunter gesprüht, „und wenn du mal ganz ehrlich bist“, Polizist Schmitt zwinkert zu Christoph rüber, „war das ein unzumutbarer Zustand“.
Diesen Eindruck hatte auch Iris Hollmann, als sie sich vor zweieinhalb Jahren aufmachte, die Jugendlichen in die Pläne für einen Stadtteil-Treffpunkt einzubeziehen. „Das sind ja überwiegend nette Jugendliche“, sagt Schmitt, „nur wenn sie straffällig geworden sind, lassen sie keinen mehr an sich ran“. Prävention lautet daher die Zauberformel, an die sich alle hier vor Ort im Jenkelweg klammern. Und, sagt Christiane Jörn vom Amt für Stadtplanung: „Man erhofft sich ja, daß weniger zerstört wird, wenn die Jugendlichen mitmachen.“
Da ist es auch von Vorteil, „daß uns hier alle kennen, auch die Jüngeren“, sagt der 19jährige Markus. Für ihn und seinen Freund Christoph, der gerade eine Ausbildung als Bauschlosser macht, stand von Anfang an fest, „daß wir da mitmachen“. Selbst wenn Markus, Christoph und die anderen, die hier im Jenkelweg aufgewachsen sind und immer noch bei ihren Eltern wohnen, eher zur Gruppe der Erwachsenen als noch zu den Jugendlichen gehören, zumindest vom Alter her.
„Mir geht es um die nächste Generation“, sagt Christoph, gerade mal 22. „Man selbst hatte ja nichts, als man jung war.“ Deswegen will er „die Kleinen“ künftig nachmittags, wenn er aus dem Betrieb kommt, betreuen. Für professionelle Straßensozialarbeit rund um die Uhr fehlt das Geld, „und von den Eltern“, klagt Jugendamtsfrau Hollmann, „kommt keine Resonanz, nicht mal beim Stadtteilfest, da wollten die nur Bier trinken“.
Zwei lange Jahre hat es gedauert, bis Mittel beantragt und bewilligt, das Plangebiet abgesteckt und auch von behördlicher Seite akzeptiert war, daß nicht ein aufwendiger Abenteuerspielplatz oder eine Inline-Skate-Bahn her müssen, sondern ganz schlicht ein Schuppen nötig ist. Jetzt, wenige Wochen vor Baubeginn, diskutiert Markus ausgiebig mit Stadtplanerin Jörn, wo der Unterstand am günstigsten stehen sollte: Nahe der Straße, zu den Wohnhäusern hingewandt? Der Vorteil: kurze Wege. Was aber, wenn die Musik doch wieder zu laut schallt?
„Vielleicht machen wir bis zum nächsten Treffen einen Plan, in den wir einzeichnen, wie wir uns das vorstellen“, schlägt Markus schließlich vor. „Bis dahin könnten wir auch die Kinder befragen, was sie eigentlich wollen.“
„Richtig“, nickt Cristiane Jörn, „die Kinder“.
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