: Umwege des Geistes
Sind so viele Fettnäpfe: Wie heikel der Umgang zwischen Deutschen und Polen ist, zeigt die Geschichte des Deutschen Historischen Instituts in Warschau ■ Von Gabriele Lesser
Noch vor zehn Jahren gehörte es zum polnischen Selbstverständnis, für jedes nationale Unglück Luther, Friedrich den Großen, Bismarck und Hitler verantwortlich zu machen. Über die Bildschirme flimmerten allabendlich Kriegsfilme, in denen mutige polnische Widerstandskämpfer tumbe deutsche Soldaten in den Hinterhalt lockten. Kinder lernten im Vorabendprogramm, daß von Luther ein direkter Weg zu Hitler führte und diese degenerierten Deutschen natürlich „Prusacy“ waren: Preußen. Die Wiedervereinigung Deutschlands ließ die Sympathiewerte für das kommende „Vierte Reich“ endgültig auf den Gefrierpunkt sinken.
Krzysztof Bielecki, dem bereits demokratisch gewählten Regierungschef Polens, waren die Minuswerte auf der Sympathieskala der Polen allerdings peinlich, und als Helmut Kohl 1991 die Gründung eines Deutschen Historischen Instituts in Polen vorschlug, stimmte er sofort zu. 1993 zogen die ersten deutschen Wissenschaftler nach Warschau.
Heute, fünf Jahre später, wäre es Zeit für eine erste Bilanz. Nur: Im siebzehnten Stock des Kulturpalastes in Warschau stehen zwar über 28.000 Bücher, elf Wissenschaftler forschen zu Themen wie „Adel im 17. Jahrhundert“, „Evangelische Kirche im Königreich Polen“, „Ostpreußen in der Weimarer Zeit“, doch rein rechtlich gesehen gibt es das Institut gar nicht. Es ist weder im deutsch-polnischen Kulturabkommen verankert wie das Goethe-Institut oder der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) noch in irgendeinem anderen bilateralen Vertrag.
Die paradoxe Existenz dieses nichtexistenten Instituts mag auf die Ernennung des Gründungsdirektors zurückzuführen sein. Die wissenschaftliche Findungskommission mit Professor Horst Möller an der Spitze, dem Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, berief damals den Rußlandexperten Rex Rexheuser zum Leiter. Die polnischen Historiker empfanden die Ernennung eines Mannes, der mit der Vertriebeneninstitution „Nordostdeutsches Kulturwerk“ in Lüneburg verbunden war, als einen Affront. „Warum“, fragten sie sich, „schicken die Deutschen keinen der anerkannten Polenhistoriker?“
Der Verdacht, sich mit dem Deutschen Historischen Institut in Warschau ein Trojanisches Pferd eingehandelt zu haben, verstärkte sich, als die Adresse bekannt wurde: „Palast der Wissenschaft und Kultur“. Ausgerechnet im von den Warschauern am meisten gehaßten Gebäude, dem „Geschenk Stalins“ an das neue „Brudervolk der Sowjetunion“ nach dem Zweiten Weltkrieg, eröffneten die Deutschen ihr Historisches Institut.
Dann aber kam doch alles anders. Als Professor Rexheuser im Mai 1998 seine Abschiedsrede in polnischer Sprache hielt, tat er das in überaus freundschaftlich gesonnener Runde. Der warme Akzent, die paar Schnitzer, sie erhöhten noch die Sympathien der polnischen Gelehrten. Aus der denkbar schlechtesten Startposition heraus hat Rexheuser ein Forschungsinstitut aufgebaut, das seinesgleichen sucht: „Zum ersten Mal seit über fünfzig Jahren“, so sagt er, „kamen 1993 wieder deutsche Historiker nach Polen, diesmal aber nicht als Besatzer, sondern als Kollegen. Ich habe dann auch ganz bewußt kontroverse Themen wie die Kreuzritter, den Zweiten Weltkrieg und die Vertreibung nicht in den Vordergrund gestellt.“
Daß gerade diese gutgemeinte politische Enthaltsamkeit in gewissen Momenten aber doch wieder politisch wirken kann, zeigte sich zum fünfzigsten Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Damals nämlich bot das Deutsche Historische Institut einen Vortrag zur „Pragmatischen Schriftlichkeit im Mittelalter“ an. Rexheuser zuckt entschuldigend die Schultern: „Wir haben die Aufregung zuerst gar nicht verstanden. Schließlich können wir unsere Forschung nicht nach Gedenktagen ausrichten. Wir sind auch kein Goethe-Institut, das nach außen wirken soll. Die Forscher des Deutschen Historischen Instituts erarbeiten ihre Themen über Jahre hinweg. Wir versuchen aber, den Erwartungen der Öffentlichkeit ein bißchen entgegenzukommen.“
Auch die Ernennung des Nachfolgers von Professor Rexheuser hätte nun fast wieder zu einem Eklat geführt, da der Wissenschaftsrat offensichtlich auf keinen Fall einen Polenhistoriker nach Warschau schicken möchte. Nach hitzigem Streit hinter den Kulissen wurde nun der Politologe Klaus Ziemer aus Trier berufen. Auf der Festveranstaltung zum fünfjährigen Bestehen des Deutschen Historischen Instituts in Warschau erläuterte Horst Möller den polnischen Gelehrten, daß die Kommission sich bei der Besetzung des Direktorenpostens in Warschau von dem Philosophen Hegel inspiriert fühle: „Der Weg des Geistes ist der Umweg.“ Die polnischen Gäste nicken verständnisvoll, so als wollten sie sagen: „Ja, so ist das mit den Deutschen.“
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