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Gelehrig statt arbeitslos

Arbeitskampf einmal anders: Bei Weyburn-Bartel in Rellingen soll erstmals für Qualifizierung gestreikt werden  ■ Von Kai von Appen

Kommt es zum Streik, dann geht es in der Regel um Geld. Erstmals in der Geschichte der IG Metall ruft die Frankfurter Gewerkschaftszentrale jetzt jedoch zu einer Urabstimmung auf, um der Belegschaft eines Betriebs Zukunftschancen zu sichern. Wenn am kommenden Montag die MitarbeiterInnen des Rellinger Nockenwellenherstellers „Weyburn-Bartel“ über einen Streik abstimmen, dann geht es ihnen darum, einen Haus- und Ergänzungstarifvertrag „Qualifizierungsgesellschaft“ durchzusetzen. Mit dessen Hilfe sollen die 90 MitarbeiterInnen vor Arbeitslosigkeit und Sozialabbau bewahrt werden. Denn „wer Arbeitslosigkeit verursacht“, so der örtliche IG Metall-Sekretär Uwe Zabel, „soll sie auch bezahlen“.

Die Schließung des Rellinger Werkes ist längst beschlossene Sache, zumindest für den US-Giganten „Federal Mogul Corporation“. Der hatte Anfang des Jahres die deutsche T & N-Gruppe geschluckt, zu der auch Weyburn- Bartel gehört. Der US-Konzern will seine Belegschaft um 4.200 Beschäftigte auf weltweit 41.000 Mitarbeiter reduzieren. Vier Standorte sollen daher geschlossen werden, darunter auch der in Rellingen.

Dabei schreibt der Betrieb, der Nockenwellen für Industrie, Kraftwerke und Schiffe herstellt, schwarze Zahlen. 1997 erzielte Weyburn-Bartel einen Umsatz von 22 Millionen Mark. Nach stabilen Marktprognosen könnte die Firma bis zum Jahr 2000 den Umsatz verdoppeln, der Gewinn vor Steuern würde auf 2,8 Millionen Mark hochschnellen. Das reicht den Federal-Mogul-Managern nicht. Ihre Vorgabe lautet: Weltweit soll eine Rendite von 10,5 Prozent erwirtschaftet werden. Weybrun-Bartel kann „nur“ satte fünf Prozent Gewinnausschüttung garantieren.

Aus diesem Grund soll die Rellinger Produktion in einen Billigbetrieb nach Großbritanien verlagert werden. „Eine strategische Konzernentscheidung am grünen Tisch“, meint Gewerkschafter Zabel, die zugleich verdeutliche, wie „Global Player mit dem Schicksal von Menschen Murmeln spielen“.

Die IG Metall verlangt nun einen Haustarifvertrag zur Finanzierung einer Qualifizierungsgesellschaft. Den „freigesetzten“ Beschäftigten von Weyburn-Bartel sollen die Gehälter in struktureller Kurzarbeit für 24 Monate auf das letzte Nettoniveau aufgestockt werden. Federal Mogul soll überdies für Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zahlen. Das Gesamtvolumen der Forderung beläuft sich auf über zehn Millionen Mark. Druckmittel für einen Streik hat die Gewerkschaft in der Hand: „Das Unternehmen soll nicht glauben, daß die Belegschaft bis Ende des Jahres die dicken Auftragsbücher abarbeitet“, sagt Zabel, „um dann sang- und klanglos in die Arbeitslosigkeit gejagt zu werden“.

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