Kommentar: Eigennutz vor Gemeinnutz
■ Finanzkrise: Rußland hilft nur ein fundamentaler Wandel
Mit großem Enthusiasmus sind Rußlands Gesetzgeber nicht gerade bei der Sache. Das Antikrisenpaket der Regierung Kirijenko, das der Duma zur Befassung vorliegt, schmeckt der Mehrheit der oppositionellen Parlamentarier überhaupt nicht. Das gehört sich schließlich auch so. Häppchenweise und zähneknirschend stimmen sie dennoch den Notmaßnahmen zu. Nur dort, wo es ihrer Klientel allzuscharf ins Fleisch schneidet, schalten die Abgeordneten auf stur.
Am Ende wird deshalb ein Programm verabschiedet, das der Staatskasse einige Rubel mehr einbringt – vorausgesetzt, es wird tatsächlich implementiert. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: In Rußland mangelt es grundsätzlich an der Umsetzung, nicht an wortreichen Bekenntnissen oder gar verbindlichen Gesetzen. Eine renitente Bürokratie landauf, landab handelt nach der Maxime, Eigennutz geht vor Gemeinnutz.
Damit sich diese mentale Grundeinstellung ändert, bedarf es mehr als einer Handvoll zum Durchgreifen entschlossener Politiker. Vor allem müßte sich das vollkommen mangelhafte Verhältnis von Bürger und Staat ändern. Für die meisten Russen ist der Staat ein janusköpfiges Wesen. Man schröpft ihn, weil er zu geben verpflichtet ist – man fürchtet ihn, weil er willkürlich nimmt, wenn ihm danach ist.
Das hat verhängnisvolle Auswirkungen auf die Volkswirtschaft – auch das seit Äonen. Deshalb spart und investiert der Bürger nicht – jedenfalls nicht im eigenen Land. Wer will es ihm verdenken? Hinzu kommt, daß das Gesetz einem Leuchtturm gleicht, der den Bürger warnt, sich nicht in seine Nähe zu begeben. Gesetze werden daher geschaffen, um sie zu umgehen.
Mit diesem intuitiven Wissen können die Abgeordneten recht gelassen in die Sommerpause ziehen. Der Sturm, der sich vorübergehend über dem Kreml zusammenzubrauen drohte, ist weitergezogen. Dank der internationalen Hilfe für Boris Jelzin wird der angekündigte „heiße Herbst“ wieder mal mit gemäßigten Temperaturen aufwarten und der Opposition kaum neue Anhänger in die Arme treiben. Der Westen hat ihr das gründlich versaut.
So wird bis zur nächsten Unwetterwarnung nunmehr eine längere Zeit vergehen. Kurzum: Für den Kreml gibt es weder Grund zur Sorge noch Anlaß, sich übermäßig am Riemen zu reißen. Klaus-Helge Donath
Bericht Seite 8
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