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Erst wird gespottet, dann diskriminiert

Eine neue Studie hat sich des Schicksals unverheirateter Frauen angenommen. Die sogenannten Jungfern waren immer arm und übel dran. Sie seien verachtet worden, weil sie sich dem gebärenden Dienst als Frau und Mutter verweigerten. Eingereiht in den Chor der Empörung hat sich  ■ Katharina Rutschky

Bis unsere Welt von allen Resten des patriarchalischen Sexismus gereinigt ist, wird es noch vieler tapferer und kluger Frauen und vieler umkehrwilliger Männer bedürfen. In fünftausend Jahren hat sich eben viel angesammelt, das jetzt, wo wir endlich den wahren Durchblick haben, richtiggestellt und auch nachträglich korrigiert werden kann. Eine dieser tapferen und klugen Frauen ist die Autorin der hier anzuzeigenden Forschungsarbeit über „Hagestolz und Alte Jungfer“. Als umkehrwillige Männer, gesonnen, das Ihre beim Abtragen aufgehäufter Männerschulden zu leisten, werden der Doktorvater und der Ehemann der Wissenschaftlerin genannt.

Auf vielen wohltuenden Seiten werden wir dann darüber aufgeklärt, daß zwar auch Junggesellen ein Päckchen an Spott und Ironie – um diese Untugenden geht es vor allem – zu tragen hatten, als Sonderlinge und nicht etwa als spezialbegabte Alleinlebende gewürdigt wurden. Die Märtyrer-, ja besser: Märtyrerinnenkrone der Rundumdiskriminierung hatten und haben aber natürlich doch die Frauen zu tragen gehabt. Mann (!) schätzte Frauen nur als Sexualobjekte, Gebärmaschinen und brave Ehefrauen, die aufs Wort hörten.

Und so tat die Männergesellschaft alles, um die Zahl der Verweigerinnen ganz klein zu halten. Die Autorin hat keine Mühe gescheut, um diese noch im nachhinein himmelschreienden Klischees, Stereotype und Vorurteile gegen Nichtverheiratete, insbesondere Frauen, in ganz unterschiedlichen Materialien aufzuspüren. Da gibt es zuerst einmal das Brauchtum, ureigenes Gebiet der Volkskunde von alters her. Wie bekannt, spielt es sich vor allem im Alpenländischen, im ländlichen, dörflichen Rahmen ab.

Aber auch in Sagen, Schwänken und Volksliedern sowie in den populären Bilderbögen wurde die nichtverehelichte Frau ins Klischee der häßlichen alten Jungfer gepreßt, die keinen abgekriegt hat und ihre frustrane Erregung nun ihren Mops, ihren Kanarienvogel oder den jungen Vikar spüren läßt. Schlimm, schlimm! Seit Karin Huffzkys vor knapp zwei Jahrzehnten publiziertem Klassiker „Wer muß hier lachen? Das Frauenbild im Männerwitz“ habe ich nichts Vergleichbares gelesen.

Wenn das alles stimmt, was die Verfasserin da schreibt – wer möchte am Wahrheitsgehalt einer wissenschaftlichen Arbeit zweifeln? –, dann muß man sich über die fortdauernde Bedrohung der modernen „Singlekultur“ und die Verwechslung von „sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“ mit wohltuender Aufmerksamkeit für weibliche Bedürfnisse doch gar nicht mehr wundern!

Neben Brauchtum, Sage und Schwank haben aber auch Wilhelm Busch, Carl Barks als ideeller Vater des Entenonkels Donald Duck und seiner drei Neffen, außerdem Hedwig Courths-Mahler, Asterix und Obelix, Daumier, viele Zeichner des Simplicissimus zur sexistischen Konstituierung des Bildes der Unverheirateten beigetragen. Um ein Haar wäre die bürgerliche Emanzipation der Frauen am Aufgebot männlichen Spottes in Wort und Bild gescheitert, deutet die Autorin an. Schlimm, schlimm!

Mir fiel es bei der Lektüre wie Schuppen von den Augen. Schon als Kind habe ich Busch gelesen, und auch Entenhausen war mir lieb und teuer. Warum ist mir, wiewohl weiblich und mit einem Sensorium für Sexismus begabt wie jede Frau, nie aufgefallen, welch Gift ich mir da lesend und studierend antat? Aber vielleicht ist das das Geheimnis des Sexismus und seines Erfolges, daß man gerade das schlimmste Gift nicht sieht, nicht schmeckt, nicht riecht und vorläufig auf die Wünschelrutengängerinnen weiter angewiesen bleibt, die schon bisher die Wahrheit über das Patriarchat erspürt haben.

Ein Beispiel nur. Kann man folgenden Busch-Vers auf den Tod der frommen Helene noch goutieren? Oder sollte man ihn meiden und wie so vieles, was hier anklingt, von unberufenen Augen und Ohren fernhalten? „Hier sieht man ihre Trümmer rauchen / der Rest ist nicht mehr zu gebrauchen!“ Die Perspektive des Patriarchats auf die Frau ist die der Ausbeutung, der Nutzung – Helenes Asche ist weder Busch noch seinen LeserInnen einen mitleidigen, respektvollen Gedanken mehr wert.

Und wenn das Mißtrauen erst einmal geweckt ist, dann stimmt einen auch der folgende Vers sehr nachdenklich und löst eine Fülle kritischer Assoziationen aus: „Lieb und luftig perlt die Blase / der Witwe Klicko in dem Glase.“ Warum wählt Busch gerade diese Champagnermarke, schreibt den Namen falsch, auch das in voller Absicht und gewiß mit Bezug zum Hintersinn? Meine Vermutung bewegt sich in die Richtung Witwe als risikoloses Sexualobjekt/Alkoholismus/Blasenkrankheit.

Die Autorin beforscht sorgfältig neben älteren, manchmal etwas abwegigen und vergessenen Autoren auch die unmittelbare Gegenwart. Donald Duck, Asterix und Obelix und Professor Higgins aus „My Fair Lady“ stehen für etwas, das man auf den ersten Blick für unbedenklich halten möchte: die Junggesellenherrlichkeit. Es sind Männer, die offenbar keine Frauen brauchen oder wollen. Greifen wir Donald Duck heraus, den alleinerziehenden Onkel dreier Neffen. Vorurteile gegen Frauen kann man ihm nicht nachweisen; Sex interessiert ihn nicht – eigentlich finden wir bei ihm gute Voraussetzungen für Erfolg im modernen Alltag.

Aber diese Fassade täuscht, denn in Wahrheit ist der Erpel „antriebsschwach, egozentrisch und cholerisch“, seine „Infantilität manifestiert sich im Matrosenanzug“, wie es bei der Autorin im Buch heißt. Einen gerechten Ausgleich für das Klischee der alten Jungfer vermag die Autorin aber dennoch nicht zu erkennen.

Mancher Leser mag bezweifeln, daß es über ein Buch nur Gutes zu sagen gibt. Die Erfahrung lehrt schließlich, daß eine spannende Neuerscheinung jedem Rezensenten höchstens ein-, zweimal im Jahr in die Finger fällt. Mancher männliche Leser, sogar die eine oder andere Frau mag inzwischen auf Durchzug schalten, wenn schon wieder von Diskriminierung die Rede ist: Hier ist die häßliche alte Jungfer – dort der auf Unabhängigkeit bedachte Junggeselle, der drollige Sonderling.

Auch auf der Ebene des Symbolischen, der Klischees, Stereotype und Vorurteile, in Witzen, Sagen und Comics sollen Frauen die Opfer und Männer die Täter sein? Und wenn es auch tausendmal stimmt, wird es manchem doch langweilig. Andererseits, hätte ich etwas zu kritisieren, wäre immer noch zu prüfen, ob ich eine Autorin, die sich so tapfer für die Frauen schlägt, überhaupt kritisieren darf. Soll man ohne Ansehen der Person und der Sache seine Meinung sagen?

Um den Schein zu wahren, räume ich ein, daß einer wie mir schon der Gedanke kommen könnte, es handele sich bei diesem Werk über „Hagestolz und Alte Jungfer“ um ein weiteres Beispiel fortgeschrittenen ideologischen Opportunismus bei gleichzeitigem Verzicht auf erprobte Standards der Materialbehandlung. Die brillanten Beobachtungen verdanken sich dem Rückgriff auf die Zeiten „v.B.“, wie es im Fachjargon heißt: „vor Bausinger“. Der nämlich hat seit den sechziger Jahren aus der sonderbaren „Volkskunde“ eine Wissenschaft gemacht, die nicht nur Belege sammelt, sondern von den Geistes- und Sozialwissenschaften Methoden der Analyse übernommen.

Das Belegesammeln diente nicht nur in der alten Volkskunde ideologischen Zwecken, weil Belege nur noch illustrierten, was ohnehin schon klar war, es kann heute schon wieder einem neuen Zweck – zum Beispiel der Dekouvrierung des Sexismus – dienstbar gemacht werden. Es scheint der Autorin nicht mehr bekannt, daß Bilder und Texte, schon gar komische und satirische, nicht für sich sprechen und die Rezeption in der Zeit und nach den Gesetzen des Genres zum kleinen Abc der Wissenschaft gehören, und zwar jeder Wissenschaft, die historisch arbeitet.

Ein kleiner Beleg nun meinerseits für Webart und Zuverlässigkeit des Unternehmens. Auf Seite 101, pars pro toto, moniert die Autorin, erfüllt vom missionarischen Geist der Jungfernrettung und Patriarchatskritik, daß Wilhelm Busch der alten Jungfer stets die „Gesellschaft von charakteristisch und physiognomisch negativ attributierten Tierarten“ beigegeben habe. Zum Beispiel einen Spitz, der als bissiger Kläffer verschrien, oder einen Mops, der als träge, faul und unansehnlich bekannt gewesen sei. Das ist falsch: Es handelt sich um ausgesprochene Modehunde des 19. Jahrhunderts. Bei Ludwig Richter findet sich auf jedem Bild ein Spitz – und der Mops war ein kostspieliger Schoßhund...

Habe ich eben „moniert“ gesagt? Das ist natürlich falsch; denn keineswegs „moniert“ die Autorin Buschs Verwendung „negativ attributierter Tierarten“ bei der alten Jungfer. Auch eine deutsche Wissenschaftlerin, die auszog, die Ehre der unverheirateten Frau in Geschichte und Gegenwart zu retten, ist immer objektiv und moralisiert keineswegs. Wie jedermann spricht sie die Sprache der Institution, der sie angehört. Daß wir seit Humboldts und Hegels Zeiten staats- und universitätsgläubig sind, hat sich selten ausgezahlt.

Als Bausinger die Volkskunde revolutionierte, lag die Autorin noch unschuldig in den Windeln. Erstaunlich trotzdem, wie schnell Terraingewinne gegenüber den alten Brauchtumsverehrern wieder verloren gehen, wenn neue ideologische Böcke gemolken werden.

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