: Ein diskreter Schönmacher
Der amerikanische Fotograf Clifford Coffin inszenierte in seinen Bildern Frauen so elegant und modern wie keiner vor ihm. In dem Magazin „Vogue“ setzten seine Lichtbilder Modetrends. Ein schöner Bildband würdigt sein künstlerisches Werk ■ Von Karin Wieland
Clifford Coffin liebte es anonym. Bereitwillig überließ er sein Leben dem Gerücht. Die einen behaupteten, er sei ein Chinese aus Chicago, die anderen sahen in ihm einen Verwandten von Tennessee Williams. Gestorben ist er sowohl an einer Überdosis Heroin wie auch an einem Sturz aus dem Fenster. Natürlich war alles denkbar banal: Er war ein Junge aus dem Mittleren Westen, der gerne die Kleider seiner Mutter anzog und dessen Vater Seidenstoffe in Italien einkaufte. Daher seine Liebe zum Schönen.
Nachdem er dem Wunsch seines Vaters gefolgt war und Finanzwesen in Kalifornien studiert hatte, zog er 1938 ins europanahe New York. Dort beschloß er, Fotograf zu werden. Veröffentlichen wollte er die mit einer billigen Kamera geschossenen Bilder in der Vogue. Condé Nast, der das 1892 gegründete Magzin 1909 übernommen hatte, besaß den Ehrgeiz, das Magazin zu einer Autorität des Lebensstils zu machen. Er förderte die Vorstellung von der eleganten Frau und hatte begriffen, daß die Fotografie ein wichtiges Mittel zur Erreichung seiner Ziele war.
Für Nast arbeiteten die besten Fotografen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren die Modefotografie zu einem eigenen Genre des 20. Jahrhunderts entwickelten. Auf der Modefotografie wird gezeigt, wie Kleider zu einer bestimmten Zeit zu tragen sind. Diese Bilder geben Auskunft über die Biographie der Frau in unserem Jahrhundert. So hatte der aus Europa stammende Baron Adolphe de Meyer als einer der wichtigsten Vogue-Fotografen der Anfangsjahre Frauen fotografiert, als hätten sie keinerlei Verbindung zur Realität. Seine Fotos waren noch geprägt von den Ideen einer Vorkriegsaristokratie.
Doch bereits sein Nachfolger Edward Steichen ersetzte die Fin-de-siècle-Geschöpfe durch selbstbewußte und unabhängige Frauen. In den dreißiger Jahre, übte man sich in „linearer Romantik“ (Janet Flanner). Die Frauen bevorzugten exakte und moderne Kleidung.
Coffin begann auf Anraten von Alexander Liberman, Art Director von Vogue, die Wolkenkratzer von New York zu fotografieren. Regelmäßig präsentierte er seine Ergebnisse. Schließlich erhielt er die Chance, drei Monate unentgeltlich in der Redaktion zu arbeiten. Diese Chance verdankte er seiner naiven Unverfrorenheit, seinem Talent und dem Krieg. Viele der Vogue-Fotografen wurden nach Europa einberufen, und Coffin konnte an deren Stelle treten. Seine große Zeit begann aber erst, als die Kollegen wieder zurück waren – und nun er nach Europa reiste.
1945 wollte keiner der bekannten Modefotografen schöne Bilder von gutangezogenen Frauen machen. Lee Miller, einstiges Model und Fotografin der Vogue, suchte in Osteuropa Zuflucht vor dem Frieden, und auch Cecil Beaton fand wenig Gefallen an der Reinszenierung einer vergangenen Epoche. Der junge Mann aus Amerika sollte Europa die Frau als verführerisches Subjekt zurückbringen.
Baron de Meyer hatte, inspiriert von der europäischen Salonmalerei des 19. Jahrhunderts, das Bild der Amerikaner von der Frau zivilisiert. Der Bilderfundus, aus dem Coffin schöpfte, stammte aus Hollywood. Als Kind war er oft mit seiner Mutter ins Kino gegangen. Man findet die Ästhetik des großen Erzählkinos auf seinen Fotos wieder. Seine Frauen haben das Zeug zum dramatischen Gefühl, das sie jedoch nie preisgeben werden, sondern hinter geschwungenen Augenbrauen und Hutkrempe zu verstecken verstehen. Sie sind rätselhafte Wesen und gebieten über den Blick des Betrachters.
Berühmt wurde Coffin in nur drei Jahren: 1949 reiste er als einer aus dem Magic Circle der großen Modefotografen zurück nach New York. Er war berüchtigt seiner Launen wegen, er war ein unerbittlicher Perfektionist und verstand es, jede Frau in eine Schönheit zu verwandeln. Die Entstehung seines Bildes von der Frau war indes ein aufwendiger Prozeß. Coffin kümmerte sich um alles, sogar das Make-up und die Frisuren der Models waren seinem persönlichen Diktat unterworfen. Er quälte die Mädchen zu Tränen, um danach Bilder von perfekter Kühle zu schießen.
Clifford Coffin arbeitete ausschließlich mit sehr dünnen Models. Audrey Hepburn lehnte er ab, weil er sie zu dick fand. Je dünner die Frau, desto besser konnte er sie zu einem graphischen Zeichen machen. Coffin verstand etwas von Frauen: Er war homosexuell. Durch die Kamera warf er seinen Blick auf das unberührbare Wesen.
In der Mode war am 12.Februar1947 der Krieg zu Ende. An diesem Tag schickte Christian Dior seine Models in hauchdünnen Strümpfen, mit hohen Absätzen und eingehüllt in Kleider aus fünfzehn bis zwanzig Meter Stoff über den Laufsteg. „Ich habe Kleider für blumengleiche Frauen entworfen, mit runden Schultern, vollen weiblichen Brüsten und mit den Händen zu umspannenden Taillen über mächtig auswippenden Röcken. Ich habe die Kunst zu gefallen zurückerobert“, so Dior. Die Frauen mußten indes schmal sein – und in ihren Textilien den Eindruck weiblicher Üppigkeit suggerieren. Diors New Look machte so die Frau als Kriegskameradin vergessen.
Clifford Coffin mit seinem zivilisierten Pathos war der richtige Fotograf für diese Mode. Den Meister selbst hat er als einen melancholischen und schüchtern dreinblickenden Mann porträtiert. Dior gehört zu einer Serie von Coffin-Porträts der Nachkriegsintellektuellen und –künstler. Ob der schöne Gregory Peck oder der verteidigungsbereite Alberto Moravia, der Verführer Jean Marais oder der blutjung wirkende Truman Capote – sie alle wirken äußerst verletzbar, ihre dominante Haltung scheint die Skepsis zu sein.
Seine Frauenbilder waren Broterwerb und für die Öffentlichkeit bestimmt, seine Männerakte allerdings behielt er für sich. Sie betrachtete er als Höhepunkte seines künstlerischen Schaffens. Vielen seiner Kollegen galt er seiner offenen Homosexualität wegen als nicht gesellschaftsfähig. Sie fürchteten um ihr Ansehen und um ihre Söhne. Er schockierte die Familienmenschen gerne, indem er seinen Modefotos Pornobilder untermischte und treuherzig fragte: „That wasn't our sitting, was it?“
Doch was als Spiel begonnen hatte, endete in einer Art Verfolgungswahn. Nachdem ein Brand in seiner Wohnung ausgebrochen war, den Polizei und Feuerwehr während seiner Abwesenheit gelöscht hatten, fürchtete Coffin, angezeigt zu werden. Seine Aktfotos lagen überall zerstreut. Viele seiner Liebhaber waren Filmstars, denen er Diskretion zugesichert hatte. Es geschah nichts, doch 1965 verließ er New York. Er war als Fotograf nicht mehr gefragt und wußte mit der aufdringlichen Unbekümmertheit, die in die Mode einzog, nichts anzufangen.
Seine schwere Drogensucht verstärkte sein Gefühl, gejagt zu werden. Coffin, der das Anonyme liebte, lebte zuletzt in einem Heim des Christlichen Vereins Junger Männer in Pasadena. Dort starb er 1972, 58jährig, an Krebs.
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