: Kurze Hosen haben ausgedient
Boris Becker absolviert beim Viertelfinale gegen Schweden wohl seinen letzten Daviscup-Auftritt, kann die Niederlage des deutschen Teams aber auch nicht verhindern ■ Aus Hamburg Matti Lieske
Die Ovationen, die Boris Becker zuteil wurden, als er am Samstag nachmittag den Center Court am Hamburger Rothenbaum betrat, bewiesen, daß ihn das deutsche Daviscup- Team noch braucht. Zu einer Veranstaltung, die praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand (es übertrug der Pay-TV-Sender Premiere), war ein Großteil der 11.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im neuen, keineswegs gefüllten Stadion offensichtlich gekommen, um noch einmal den scheidenden Grandseigneur der deutschen Tennisszene zu sehen. Die Niederlage konnte jedoch auch Becker nicht verhindern. Das Doppel im Daviscup-Viertelfinale gegen die Schweden Jonas Björkman und Nicklas Kulti verlor er an der Seite von David Prinosil mit 6:4, 6:7 (5:7), 6:7 (5:7), 4:6, und gestern sicherte Björkman seiner Mannschaft mit einem 6:3, 4:6, 6:2, 5:7, 6:4 gegen Nicolas Kiefer den Punkt zum 3:1 und den Einzug ins Halbfinale gegen Spanien.
Allein Beckers Charisma hält den darbenden Sport mit den schnellen Filzbällen hierzulande noch halbwegs oben, auch wenn die alte Magie im Doppel nicht mehr funktionieren wollte. Die Skandinavier zeigten sich unbeeindruckt, spielten resolut ihr Match herunter, und den Ausschlag zum schwedischen Sieg gab pikanterweise der Umstand, daß Becker erheblich mehr Fehler machte als der gegnerische „Spielmacher“ Björkman. So stellte sich am Ende die Frage, ob der Spieler Becker eigentlich das deutsche Daviscup- Team noch braucht.
In der Mannschaft des DTB geht es derzeit ein wenig zu wie beim englischen Fußballklub FC Chelsea. Dort ist Gianluca Vialli Spielertrainer, und seit er das ist, spielt er auch wieder. Wenn er spielt, gibt er die Verantwortung formal an seinen Co-Trainer ab, doch wenn der ihn auswechseln will, wie im gewonnenen Europacup-Finale gegen Stuttgart, holt er sich eine harsche Abfuhr. Auch Daviscup-Teamchef Boris Becker spielt natürlich, wenn er spielen will, ohne daß er dem offiziellen Kapitän Carl-Uwe Steeb groß Anweisungen erteilen müßte. An Ikonen kratzt man nicht.
Besser als der Vergleich mit Gianluca Vialli würde Boris Becker sicher der mit Clint Eastwood gefallen. Als er ein Foto für einen Illustriertentitel auswählen sollte, suchte er zielsicher ein Bild heraus, auf dem er dem Eastwood aus Sergio Leones Film „The Good, The Bad and The Ugly“ fast aufs Haar gleicht: Siebentagebart, ungebärdiges Haar, verwegen-lässiger Blick und ein entspannt glimmender Zigarillo. Wie es Clint Eastwood, der erfolgreiche Starregisseur und Lokalpolitker, in Perfektion vorführte, will auch Becker von der Seite der Gemachten auf die der Macher hinüberwechseln. Nicht mehr der Typ „in kurzen Hosen“ (Becker), der den Bällen hinterherhechelt, will er sein, sondern derjenige, der die Fäden zieht und andere hecheln läßt. Das Zeug dazu hat er allemal, und da er weiß, daß die aktive Karriere im Sport kürzer ist als in der Schauspielerei und es beim Tennis auch keinen Liberoposten gibt, wo sich alternde Koryphäen, denen die Puste ausgeht, noch ein paar Jährchen halten können, geht er zügig daran, die Weichen für das Leben nach dem Tennis zu stellen.
Schon jetzt ist klar, daß er sich nicht mit der Rolle eines Beckenbauer zufriedengibt, dem es reicht, überall seinen Senf hinzuzugeben, hier mal als Trainer, dort als Kolumnist, da als Präsident einzuspringen und ansonsten sein Golf- Handicap zu verbessern. Auch ein John McEnroe will er nicht werden, der sich durch die Welt mäkelt, aber schließlich doch damit zufrieden ist, für Eurosport die ATP-WM zu kommentieren.
Becker hat gut aufgepaßt bei seinen geschäftlichen Mentoren Ion Tiriac und Axel Meyer-Wölden. Er will eingreifen, Dinge bewegen, die (Sport-)Welt verändern. Und er weiß, wie man wichtige Leute auf seine Seite zieht. Wo sich Michael Stich hinstellt und sagt: „Hallo, hier bin ich, habt ihr nicht was für mich?“, war Becker längst da und hat verkündet: „Ich will das und das tun und biete euch dieses und jenes dafür.“ Kein Wunder, daß sich etwa der Deutsche Tennis Bund (DTB) für die Zukunft vollkommen auf die Figur Becker kapriziert, wohl wissend, daß dieser der Prototyp des modernen Sportmanagers werden kann. Jemand mit großem Namen, der die Lichtgestalt-Glorie eines Beckenbauer mit dem Geschäftssinn eines Günter Netzer vereint. Ein europäischer Pelé sozusagen, nur mit härterer Vorhand. Bloß konsequent, daß Beckers Name in Zusammenhang mit einem Expertengremium zur Heilung des deutschen Fußballs genannt wurde.
Erst kürzlich hat er seine Firma Boris-Becker-Marketing (BBM) gegründet, und kaum war dieser Akt vollzogen, trachtete er, wie in Wimbledon gemunkelt wurde, auch schon nach dem dicksten Brocken: die Vermarktungsrechte der ATP-Tour, die eine Gruppe, der angeblich auch BBM angehörte, erwerben wollte. Als die Rechte dann doch wieder an die Adidas-Tochter ISL gingen, kritisierte Becker prompt und scharf den Zustand sowie die aktuelle Reform der ATP-Tour. Die Verantwortlichen des Tenniszirkus verstünden nicht, daß man „die Kuh so behandeln muß, daß sie wieder Milch bekommt“, und der ATP sprach er „die Philosophie“ ab, den kriselnden Sport aufpäppeln zu können. „Ich bin ein ganz kleines Licht in der Tennisszene“, stapelte er tief, für Deutschland stimmt das gewiß nicht.
„Becker ist eine übermächtige Figur“, kritisierte Tennistrainer Karl Meiler die Tatsache, daß sich der DTB mit Haut und Haaren dem 30jährigen verschrieben hat, doch Präsident Claus Stauder weiß genau, daß sein Verband ohne oder gar gegen Becker große Probleme bekäme, eine Zusammenarbeit dagegen sehr fruchtbar sein kann. Dem Daviscup-Team angelte die neugeborene BBM nach dreijähriger unfreiwilliger Abstinenz einen Hauptsponsor, für die gehobene Stellung des Turnierstandorts Hamburg im ATP-Kalender kann Beckers Fürsprache ungeheuer wertvoll sein. Dafür dürfte der Jungunternehmer dann in alter Tiriac- Manier bald als Promoter von Tennis- Events auftauchen. „Ich will Tennisprofis vermarkten, Veranstaltungen organisieren, meine eigene Person verkaufen, später dann mehr“, sagt Becker, dessen Firma auch daran interessiert sein soll, das Management des jungen Daviscup-Spielers Thomas Haas zu übernehmen. Beckers Ehrgeiz ist aber keineswegs nur auf den Bereich Tennis beschränkt. Auch das haben ihm Tiriac und Meyer-Wölden vorgemacht.
Wer Boris Becker bei der Entwicklung seiner Persönlichkeit in die Quere kommmt, hat nichts zu lachen. Das erfuhren einst seine frühen Hüter Günther Bosch und Ion Tiriac, jetzt trifft es Leute wie Stich, Meiler oder Niki Pilic. „Der muß aufpassen“, warnte Becker den ehemaligen Daviscup-Kapitän, der dauernd von „Boris und seiner Clique“ spricht. Schließlich sei Pilic noch Angestellter des DTB, eine Art unbefugter Eindringling im Boris-Revier also. Kleine Aufstände werden schnell niedergeschlagen, das weltweite Renommee des dreimaligen Wimbledonsiegers tut ein übriges. „Keiner versteht es besser als Becker“, schrieb die englische Mail, „daß er ein Teil der Geschichte ist, aber auch ein Faustpfand für die Zukunft.“
Seinen letzten Auftritt als Daviscup-Spieler hat Boris Becker am Samstag mutmaßlich absolviert, dem Tennissport bleibt „The Good, the Bad and the Ugly“ (je nach Perspektive) aber auch in langen Hosen wohl noch geraume Zeit erhalten.
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