: Lahme Justiz kommt in die Gänge
Fast 54 Jahre brauchte Dänemark, um Deutschland dazu zu bewegen, Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Mann Sören Kam wiederaufzunehmen ■ Aus Kopenhagen Reinhard Wolff
Jahrelanger dänischer Druck auf Bonn scheint endlich auf die deutsche Justiz Wirkung zu zeigen. Die bayerische Staatsanwaltschaft hat das Justizministerium in Kopenhagen wissen lassen, daß man im Laufe der nächsten zwei bis drei Wochen den ehemaligen SS-Mann Sören Kam zu einem Verhör als Beschuldigten am Mord des dänischen Journalisten Carl Henrik Clemmensen am 30. August 1943 im von den Nazis besetzten Dänemark vorladen werde.
Oberstaatsanwalt Manfred Wick sagte, man werde Sören Kam mit dem Obduktionsbericht konfrontieren, der nach Meinung der dänischen Justiz seine Täterschaft beweise. Ein möglicher Prozeß gegen Kam werde vor einem deutschen Gericht stattfinden.
Nach diesem Material, das die dänische Justiz den deutschen Behörden mittlerweile übergeben hat, soll es erdrückende Beweise dafür geben, daß Sören Kam zusammen mit zwei anderen SS-Angehörigen Clemmensen in Selbstjustiz erschoß, um „ein Exempel zu statuieren“. Clemmensen war erschossen worden, weil er vor einem Kollegen, der für die Nazis arbeitete, auf den Boden gespuckt und diesen als „Landesverräter“ bezeichnet hatte.
Nachdem Kopenhagen jahrzehntelang versucht hatte, die deutsche Justiz zu einem Vorgehen gegen den nach Kriegsende nach Deutschland übergesiedelten und in Kempten unter seinem richtigen Namen lebenden Kam zu veranlassen, war ein Verfahren gegen ihn 1971 eingestellt worden. Damals fand der für die Beweislage zentrale Obduktionsbericht jedoch keine Berücksichtigung. Um die darin enthaltenen Schlußfolgerungen zu überprüfen – alle drei SS-Leute und damit auch Kam schossen gleichzeitig auf den stehenden Carl Henrik Clemmensen–, hat die bayerische Kriminalpolizei zwischenzeitlich ausführliche Untersuchungen und Berechnungen über Schußbahnen und Einfallswinkel der Kugeln vorgenommen. Offenbar bestätigen sie die in Kopenhagen gezogenen Ergebnisse. Die Einlassung Kams, er habe auf den bereits tot am Boden liegenden Clemmensen geschossen, dürfte damit nunmehr zu widerlegen sein.
Der mittlerweile 76jährige Kam, dessen Fall schon beinahe in Vergessenheit geraten war, rückte wieder ins Blickfeld der Ermitlungsbehörden, als er 1995 in SS- Uniform bei einem Veteranentreffen in Österreich gesehen wurde.
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