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Großer Zoff im Altenparlament

■ 80jährige Frau wurde aus Vorstand gefeuert, weil sie Mißstände in Altenheim an BILD ausplauderte

Großer Streit im „Altenparlament“, der Seniorenvertretung in der Stadtgemeinde Bremen: Gestern wurde die 80jährige Else Nerke aus dem Vorstand geworfen, weil sie in der BILD-Zeitung als Mitglied der Seniorenvertretung mutmaßliche schlimme Zustände in einem Bremer Altenheim kommentiert hatte. Und das, ohne sich vorher mit den restlichen Mitgliedern des Vorstandes abzustimmen.

Mit der hauchdünnen Mehrheit von einer Stimme beschloß die Mehrheit der 46 Delegierten, daß die Seniorin nicht weiter im Vorstand tätig sein darf. Mit schwerem rhetorischem Geschütz unterfütterte Antragsteller und Vorstandssprecher Helmut Thielke, warum Nerke ihren Basthut nehmen soll: Als „unkooperativ und seminar-unfähig“ habe sich die 80jährige erwiesen. Die Zitate in dem Artikel hätten „das Maß voll gemacht“.

Nerke hatte noch versucht, sich dafür zu verteidigen, daß sie den BILD-Journalisten Rede und Antwort stand: Die Bremer Heimaufsicht habe ihre Hinweise über die Mißstände fast ignoriert. Da habe sie sich an die Boulevard-Zeitung gewandt. “Es ist unsere Pflicht, so etwas öffentlich zu machen“, so Nerke zu den Delegierten im Kultursaal der Angestelltenkammer.

Das Ansehen der Seniorenvertretung und der Altenheim-Betreiber habe durch die Stellungnahme gelitten, so Thielke im Gegenzug. Als Seniorenvertreter zieht er Methoden wie stille Diplomatie oder Absprachen mit den offiziellen Stellen der Mobililisierung der Öffentlichkeit vor. Sein Antrag habe nichts mit einem Maulkorb zu tun, so der rüstige Rentner, sondern damit, daß eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Vorstand nach diesem Alleingang nicht mehr möglich sei.

Das verwundert, steht doch in einer Selbstdarstellung des Altenparlaments, daß die Seniorenparlamentarier durchaus den Anspruch haben, „zu aktuellen altenpolitischen Fachfragen“ Stellung zu nehmen und „ihre Belange in der Öffentlichkeit“ zu vertreten. Mit Stellungnahmen zu Pflegeskandalen ist die Seniorenvertretung in der Vergangenheit aber nicht aufgefallen. Jetzt, wo eine Delegierte vermutete Mißstände kritisiert, wird sie geschaßt.

Die Hintergründe sind offensichtlich ganz andere: Zum einen scheint Else Nerke keine pflegeleichte Person im Gremiengetue zu sein. „Wir sind alle doch schon ein bischen alt, und wir sind oder werden langsam schrullig“, faßte es der Deligierte Helmut Kasten zusammen. Aber einen Rausschmiß aus dem Vorstand – das sei überzogen.

Zum anderen ist Wahlkampf: Parteipolitik hält Einzug in das Altenparlament, das sich rühmt, „parteipolitisch nicht gebunden“ zu sein. Die 80 Mitglieder des Altenparlaments werden aus den verschiedensten Institutionen und Organisationen abgeordnet oder gewählt. Mit der parteipolitischen Neutralität, so eine CDUlerin und Delegierte nach der Sitzung, sei „es offensichtlich vorbei“. Die Abwahl wurde von SPDlern betrieben, verteidigt wurde Nerke vor allem von CDUlern. Christoph Dowe

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