: Viel Licht und viel Schatten im Cinemarkt
■ Großinvestoren errichten Multiplexe. Mittelständische Kinobetreiber kontern mit Saalerweiterung, Modernisierung und Spezialprogrammen. Die wachsende Konkurrenz drückt die Löhne der Mitarbeiter
Betrachtet man allein die Zahl der Neueröffnungen, könnte man meinen, der Berliner Kinomarkt boomte. Multiplexe schießen aus dem Boden, und auch kleinere Kinos erweitern ihre Kapazität durch neue Säle. Doch so langsam zeigt sich, daß die Zahl der Besucher nicht endlos zunimmt. Ausgerechnet von denen erhoffen sich die Kinobetreiber die Rettung. „Wir haben das Off im klassischen Stil wiederhergestellt, um langjährige Gäste zu halten“, gab Georg Kloster diese Woche zur Wiedereröffnung des Kinos in der Hermannstraße zum besten.
Die „konventionellen“ Kinobetreiber zittern vor den Großinvestoren, die in nur zwei Jahren 10.864 neue Kinosessel in die Stadt pflanzten. Mindestens acht weitere Kinokolosse sollen bis zum Jahr 2000 entstehen. Auch Georg Pollit, Kinoriese aus dem Rhein-Ruhr- Gebiet plant „ein großes Haus“ – am Kantdreieck, wie Branchenkenner wissen, in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof.
Doch Gerd Müller-Eh, Geschäftsführer der Kloster-Gruppe, die die Off-Szene mit konventionellen Häusern wie Babylon, Yorck, Cinema Paris, Delphi, Odeon oder International beherrscht, befürchtet schon ohne diese ortsnahe Konkurrenz das „Aus für die Ku'damm-Kinos“. Grund: Der Hamburger Kinoriese Joachim Flebbe eröffnet mit seiner Cinemaxx AG im August 19 Kinosäle am Potsdamer Platz mit extremer Sogwirkung auf das Umfeld. Schon jetzt spekuliert Müller-Eh mit der „Schließung unseres Broadway-Programmkinos“. „Kloster wird sich spezialisieren müssen“, so UCI-Marketing-Chef Thomas Schülke.
Die Spezialisierung ist bereits zu erkennen: Sneak-Previews, Voraufführungen eines ungenannten Films, die Mongay-Reihe für schwul-lesbischen Film im International oder die „Play it again“- Reihe, bei der Filmklassiker wieder in großen Kinos aufgeführt werden, stehen vermehrt auf dem Programm. Doch damit erwischt der Dominoeffekt schließlich die ganz kleinen Off-Off-Kinos: „Einen Klassiker wie ,Easy Rider‘ können wir nicht mehr spielen, wenn er vorher vor mehreren hundert Leuten in einem großen Saal gelaufen ist“, klagt ein Mitarbeiter eines Programmkinos.
Selbst für die Multiplex-Investoren wird es eng: Warner Brothers will in der Kulturbrauerei 1.800 Kinoplätze bauen, in direkter Konkurrenz zu Flebbes Colosseum. Thomas Schulz, Sprecher der Flebbe/Cinemaxx AG: „Das werden wir gerichtlich klären.“ Schulz regt sich über wirtschaftliche Vorteile der US-Investoren wie Warner und UCI auf.
Auch für die Filmvorführer und Kassierer kommt der Umbruch: „Bis zu zehn Säle bedienst du im Multiplex gleichzeitig, der Stundenlohn liegt bei 15,40 Mark, und nach drei Jahren im Geschäft gibt's 2 Mark mehr, die Kassierer kriegen zwischen 10 und 11 Mark, Tendenz fallend“, so ein Multiplex-Vorführer. Nervosität auch bei den Freilichtkino-Beschäftigten. Wegen Fußball-WM und Dauerregen schreiben die Betreiber tiefrote Zahlen und kürzen die Löhne. So drohte Colosseum-Teilhaberin Anna Kruse im Auftrag der linksalternativen Sputnikgruppe den Beschäftigten im Freilichtkino Hasenheide mit Kürzungen. Die kündigten kurzerhand, doch ihre symbolische Aktion nahm Kruse zum Anlaß, neue Leute einzustellen.
Auch Multiplex-Strategen setzen auf Billiglöhen. So will UCI 75 Prozent der Belegschaft mit 610-Mark-Jobbern, sozialversicherungsfreien Studenten und befristeten Teilzeitkräften besetzen. Peter Sennekamp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen