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Das Ende eines nationalen Rituals

Die Tour de France ist nicht, was sie mal war. Dafür hat auch Frankreichs Sportministerin Marie-Georges Buffet gesorgt – mit rigider Anti-Doping-Politik  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die Tour de France – das war jahrzehntelang auch ein nationales Ritual. Sie bot den Franzosen alljährlich die Gelegenheit, ihre Landschaften im Zweiradrhythmus Revue passieren zu lassen. Am Ende kamen die Radler am 14. Juli, dem Nationalfeiertag, in Paris an, drehten ein paar Ehrenschleifen über die Champs-Élysées und entließen das Volk in den Sommerurlaub.

Dieses Mal hat ganz allein der Fußball alle Privilegien für sich beansprucht: Das auf zehn Stadien im ganzen Land verteilte Spiel, die über einen Monat währende Anspannung und zum Schluß der apotheotisch gefeierte Sieg der französischen Nationalelf.

Für die Tour de France blieb nur eine zweite Rolle übrig. Hinzu kam ein langjähriges und radsportinternes Handicap, das Doping. Darüber sickerten zwar immer wieder einzelne Berichte durch, aber es war nie zum Thema und schon gar nicht zum Problem der gesamten Tour geworden. So weit kam es erst infolge des ungewohnt harten Durchgreifens der Justiz und durch die entschlossene Haltung der Sportministerin Marie- Georges Buffet.

Beklagt hatten einzelne MedizinerInnen und ausgestiegene Radler den Mißstand schon vor Jahrzehnten. Aber die im Juni 1997 angetretene kommunistische Ministerin Buffet war die erste in ihrem Amt, die das Thema Drogen im Sport offensiv anging. Nicht nur bei der Tour de France, sondern bei allen anderen Sportarten.

Im eigenen Land leitete Buffet eine radikale Wende ein: Sie verdreifachte den Anti-Doping-Etat der Pariser Regierung, beauftragte Fachbeamte mit dem Anti-Doping-Aufklärung und legte jüngst einen Gesetzentwurf vor, dessen Härte einmalig ist. Darin wird jedes Doping verboten und soll in Einzelfällen mit mehrjährigen Gefängnisaufenthalten und hohen Geldstrafen geahndet werden. Unter anderem führt der Entwurf auch den Begriff der „kriminellen Vereinigung“ für SportlerInnen und Begleitpersonal ein, die des Dopings überführt werden. Ein nationaler Anti-Doping-Rat mit weitgehenden Ermittlungs- und Sanktionsbefugnissen soll das Gesetz begleiten. Der Skandal bei der Tour de France gibt der außerhalb des Ministeriums vielfach belächelten Verve von Buffet recht. Ihr Gesetzentwurf wird fraglos auf große Zustimmung der ParlamentarierInnen stoßen. In den letzten Tagen zeichnet sich außerdem ab, daß Buffet nun auch die Unterstützung ihrer Landsleute erwarten kann. Die Plakate längs der Tour- strecke, die noch Tage nach dem Ausschluß des „Festina-Teams“ das „Recht auf Arbeit“ für den wegen Doping ausgeschlossenen Radsporthelden Richard Virenque verlangten, sind verschwunden. An die Stelle der Sportberichterstattung sind ausführliche Polizeiberichte getreten. Zahlen über neuerliche Durchsuchungen, Festnahmen, Verhöre und Geständnisse inklusive.

Die Begeisterung rund um die Tour ist einer stündlich wachsenden Betroffenheit gewichen. Unmißverständlich sind auch die Distanzierungserklärungen, von SportjournalistInnnen bis hin zum Direktor der Tour de France, die jetzt glauben machen wollen, sie hätten von alledem „nichts gewußt“. Die gemeinsame Protestaktion der radelnden Konkurrenten aus aller Welt, die gestern zwei Stunden lang die Abfahrt der Tour verweigerten, um gegen den „Verdacht der Medien gegen die gesamte Tour“ zu protestieren, ist eine deutliche Reaktion.

Seitdem nun auch Radler des „Festina-Teams“ das Doping gestanden haben und seit außerdem auch Mitglieder eines weiteren Teams (TVM) unter Dopingverdacht festgenommen worden sind, ist ein vorgezogenes Ende dieser Tour de France immer wahrscheinlicher. Damit hätten die Drogen, die dazu eingesetzt waren, die Tour zu beschleunigen, sie dieses Mal ausgebremst.

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