Streifzug auf der „falschen Seite“

■ Edition Temmen und Stadtteilarchiv Neustadt widmen Bremens linker Weserseite ein Fotobuch

Der spätere Reichspräsident Friedrich Ebert betrieb hier eine „Restauration“, und der spätere Schriftsteller Peter Weiß ging zum Einkaufen in den Krämerladen Wempe: Diese und weitere Miniaturen haben die Bremer Neustadt zum Schauplatz und sind ein Futter für Stadtteilgeschichtsgruppen und den Verlag Edition Temmen. Für den neuen Band der Reihe mit „Photographischen Streifzügen“ hat die Edition das Stadtteilarchiv Neustadt als Herausgeber engagiert, und herausgekommen ist ein Bilderbuch namens „Neustadt 1860-1945“.

Wie dem Vorläuferband der Reihe mit einem Streifzug durch das Oster- und Steintor ist auch dem neuen Buch ein kurzer Text über die Stadtteilgeschichte vorangestellt. Den Schwerpunkt bildet jedoch ein Sammelsurium historischer Fotos, die das Leben und die Architektur auf Bremens linker Weserseite dokumentieren.

Auf der „Insula Bremensis“ gab es bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts nur eine Ansiedlung namens „Ledense“. Es war ein 100-EinwohnerInnen-Dorf, dessen Häuser auf Wurten standen. Die Stadt endete praktisch mit dem Festungsturm, der sogenannten Braut. Um die Stadt besser vor Angriffen aus dem Süden zu schützen, beauftragte der Senat anno 1615 den niederländischen Architekten Johann van-Valckenburgh mit der Planung einer neuen Stadt. Er entwarf eine Verteidigungsanlage sowie einen von Straßen und Gräben durchzogenen Stadtteil. Dieses „Klein Amsterdam“ wäre heute ein echter Standortvorteil, doch die Verantwortlichen verzichteten auf die Gräben, als sie zehn Jahre später mit der Anlage der Neustadt begonnen.

Zwar wohnt „man“ als „echter Bremer“ auch heute nicht auf der „falschen Seite“, doch die NeustädterInnen wurden viele Jahre auch tatsächlich benachteiligt. Als 1802 die Stadtbefestigung nicht mehr gebraucht wurde, ließ der Senat nur auf der Altstadtseite einen Park anlegen. Auf der Neustadtsseite wurden die Gräben zugeschüttet und die Flächen landwirtschaftlich genutzt. Bis ins 20. Jahrhundert war die Neustadt nicht vor Überschwemmungen sicher. Und erst 1822 gab der Senat den BremerInnen auf der „falschen Seite“ die vollen Bürgerrechte. Die im „Streifzug“ abgebildeten Fotos stammen freilich aus der Zeit danach. Sie spiegeln das Leben in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider. Sie sind durch kleine Texte erläutert und kommentiert. ck

„Neustadt 1860-1945“, Stadtteilarchiv Neustadt (Hrsg.), Edition Temmen 1998, 29,90 Mark