: Vom Ritter der Gerechtigkeit
■ Bremer wirft Landgericht nach einer Prozeß-Niederlage Nazijustiz vor
Warum hat Horst E. sich zu der Aussage verstiegen, in der Justiz habe sich seit dem Nationalsozialismus fast nichts geändert? Der waschechte Hanseat, Jahrgang 1926, ist ein Mann, der sich einmischt. Eine ADAC-Ehrung für insgesamt 100 Hilfeleistungen im Straßenverkehr legte der ehemalige Rennfahrer vor – aus dem Jahre 1959. Und eine Dankesurkunde von Stadtvater Wilhelm Kaisen – Horst E. hatte zwei Schüler vor dem Ertrinken gerettet.
Auch der Amtsrichter, vor dem sich Horst E. gestern wegen Beleidigung zu verantworten hatte, kennt den Angeklagten schon als Helfer in der Not. Vor einigen Wochen hatte der Senior beim gleichen Richter als Zeuge ausgesagt. Einer alten Dame war er zu Hilfe geeilt, als sie überfallen wurde. Die Dame konnte entfliehen, Horst E. bekam Schläge.
Jetzt aber sitzt er da als Angeklagter. Letztes Jahr soll er die Richter des Landgerichts mit Nazirichtern gleichgesetzt haben. Die Kollegen in so einen Zusammenhang zu stellen, so der Amtsrichter, sei „der schlimmste Vorwurf, den man einem Richter machen kann“. Am liebsten würde der Angeklagte das Verfahren wegen Beleidigung nutzen, um einen ganz anderen Fall neu aufzurollen. Am 15. Juli 1997, so schält sich im Lauf der Vernehmung heraus, hatte die 8. Zivilkammer des Landgerichts Bremen einen Beschluß zu seinen ungunsten gefällt. „Es bedarf einer großen Zahl von Ungerechtigkeiten, bis das Faß überläuft“, rechtfertigte Horst E., was drei Tage später geschah. „Das ist bei mir der Fall.“ In dem Hausflur eines seiner zwei Mietshäuser an der Hastedter Heerstraße hatte er nach der Gerichtsentscheidung einen Zettel in den Hausflur gehängt. „Die Justiz im Dritten Reich: Ein Betriebsunfall? Nein! Es hat sich fast nichts geändert:...“, war da zu lesen.
Auf die Neuverhandlung des alten Falles wollte sich der Amtsrichter freilich nicht einlassen. Doch ein Teil der Geschichte, die hinter der Beleidigung steckt, ließ sich erahnen. Sein gesamtes Hab und Gut hat Horst E. im Laufe der Jahre verloren – angefangen bei der Firma seines Vaters, die Mitte der 80er pleite ging, über die Maschinen-Import-Firma, die er 1992 schließen mußte. Mit der Landgerichts-Entscheidung im Juli 1997 wurde auch noch der Verlust seines letzten Besitzes, die zwei Wohnhäuser in der Hastedter Heerstraße, bestätigt. Er habe sich bei einem Grundstücksgeschäft reinlegen lassen, berichtet er, und das hört sich glaubwürdig an. Die Häuser werden demnächst zwangsversteigert. Horst E., ganz sicher Besseres gewohnt, lebt nun von mageren Hauswarts-Geldern, die ihm der Zwangsverwalter ausbezahlt. An den Petitionsausschuß der Bürgerschaft habe er sich inzwischen gewendet, damit ihm Gerechtigkeit widerfahre.
Das alles, so ist allen im Gerichtssaal klar, hat nicht viel mit dem Vorwurf der Beleidigung zu tun. Wenn er Opfer von Justizwillkür geworden sei, hätte er den Instanzenweg gehen können, rät die Staatsanwältin dem Senior nachträglich. „Sie stehen jetzt vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens“, erkennt der Richter dennoch an, der Angeklagte haucht ein „ja“. Der Richter verwarnte Horst E. und setzte die Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 15 Mark zur Bewährung aus. Christoph Dowe
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