Serben rücken weiter vor

Serbische Streitkräfte erobern strategisch wichtige Verbindungsstraßen im Kosovo. Flüchtlinge berichten von Greueltaten der Serben in umkämpften Gebieten  ■ Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) – Den serbischen Streitkräften ist es in den letzten Tagen gelungen, militärische Vorteile gegenüber den kosovo-albanischen Aufständischen zu erringen. So wurde nach serbischen Angaben die wichtige Straße von der Hauptstadt Prishtina nach Peja (Pec) wieder unter Kontrolle der serbischen Streitkräfte gebracht. Unterdessen werden nach Berichten albanischer Zivilisten Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung in den großen Städten ausgedehnt.

Den serbischen Streitkräften ist es am Montag offenbar gelungen, den strategisch wichtigen Ort Kijevo zu entsetzen. Kijevo war ursprünglich von Serben und Albanern bewohnt. Ende Mai wurden die Albaner von bewaffneten serbischen Zivilisten mit Unterstützung der Polizei vertrieben. Daraufhin belagerten bewaffnete Albaner den Ort und bedrohten die verbliebene serbische Bevölkerung. Ausländische Journalisten berichteten gestern von Freudenfeiern jugoslawischer Soldaten und serbischer Polizisten nach der gelungenen Militäraktion.

Träfen die serbischen Berichte zu, wäre damit die „befreite Zone“ der Albaner, die von dem weiter südlich liegendem Gebiet um Malishevo bis in das nördlich der Straße liegende Gebiet Drenica reichte, in zwei Teile geschnitten. Zudem versuchen die serbischen Streitkräfte die Straße Prishtina- Prizren unter ihre Kontrolle zu bekommen. Während dieser Offensive, die vor wenigen Tagen begann, wurden in dem Dorf Bujance albanische Flüchtlinge mit Artillerie angegriffen.

Militärisch hat die kosovo-albanische Befreiungsarmee UCK eine empfindliche Niederlage erlitten. Denn strategisch ist es für die serbischen Streitkräfte nach dem Fall der westlich von Malishevo liegenden Stadt Orahovac am letzten Wochenende nun möglich, das gesamte Gebiet um Malishevo militärisch zu beherrschen. Malishevo ist nun endgültig zu einer Enklave geworden. Das Vorgehen der serbischen Truppen deutet darauf hin, daß bald ein Angriff auf die UCK-Hochburg Malishevo beginnen kann. Aus kosovo-albanischen Quellen geht hervor, daß die Verteidiger der nahe der albanischen Grenze liegenden und seit Ende Mai von serbischen Truppen eingeschlossenen Stadt Junik weiter mit schweren Waffen angegriffen werden.

Unterdessen berichten kosovo- albanische Zivilisten von weiteren Repressionen gegenüber der Zivilbevölkerung in den Städten. Die Übergriffe der Polizei häufen sich. Gestern wurden in Peja (Pec) zwei Jugendliche beerdigt, die erst am Sonntag ermordet worden waren. Den Angehörigen wurde von der serbischen Polizei verwehrt, in die Särge zu sehen. Daher wird vermutet, die Jugendlichen seien vor ihrem Tod gefoltert oder danach verstümmelt worden.

Der kosovo-albanischen Menschenrechtsorganisation legen Hinweise auf 43 ermordete Zivilisten in Orahovac vor. Nach Angaben von kosovo-albanischen und internationalen Medien ist es in Orahovac zu regelrechten Massakern an der kosovo-albanischen Bevölkerung gekommen. Serbische Truppen hätten albanische Zivilisten bei lebendigem Leibe verbrannt, ihre Kehlen aufgeschnitten, die Augen ausgestochen und mit dem Messer das serbische Kreuz auf die Brust gezeichnet, zitieren Reporter der britischen Zeitung The Guardian die Berichte von Flüchtlingen.

Unterdessen versucht eine Delegation der Europäischen Union, während einer dreitägigen Vermittlungsmission zwischen beiden Seiten zu vermitteln. Die Diplomaten aus Österreich, Deutschland und Großbritannien haben gestern nachmittag ihre Gespräche in Belgrad aufgenommen, wollen jedoch auch nach Prishtina reisen. Österreich, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat, leitet die Delegation. Angesichts der bisher gescheiterten Vermittlungsbemühungen durch die Kontaktgruppe, der USA und Rußlands werden der EU-Delegation jedoch kaum Erfolgsaussichten eingeräumt.