: Expeditionen ins Ich-Gestein
■ Unbeirrt von realsozialistischen Vorgaben, fern von Bekennertum: Die Galerie Gunar Barthel zeigt die andere Kunst-Seite der DDR
DDR-Kunst und Kunst in der DDR sind zweierlei. Trotzdem lassen sie sich nicht ganz voneinander trennen, die Verhältnisse ließen es nicht zu. Aber es gab doch auch „souveräne Wege“, wie der Titel einer zweiteiligen Schau in der Galerie Gunar Barthel anzeigt: Künstler, die unbeirrt von äußeren Vorgaben oder Bedrängnissen ihrer eigenen künstlerischen Entwicklung nachgingen, fern von politischem Bekennertum und figurativ-metaphorischem Pathos. Das führte zu Isolierung und Ignorierung, zu Bespitzelung und Ausstellungsverboten, aber nicht zur Wirkungslosigkeit.
Auch im Westen waren die ausgewählten sechs Künstler nicht ganz unbekannt, wenngleich eher in Kennerkreisen: Hermann Glöckner, Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus, Max Uhlig, Michael Morgner und Eberhard Göschel. Durch den Tod von Carlfriedrich Claus vor wenigen Monaten ist wie beiläufig deutlich geworden, daß die drei erstgenannten gleichsam die Vätergeneration in der DDR bildeten. Vor allem Glöckner, noch im vorigen Jahrhundert geboren, hat gleich nach dem Ersten Weltkrieg mit gegenstandsfreien Kompositionen begonnen und ist seitdem konsequent dem Konstruktivismus treu geblieben. Seine „Faltungen“ changieren zwischen gleichsam kühlen Farbfeldkontrasten und poetischer Collagenbuntheit.
Altenbourg ist der Innenweltsucher, dessen Ich-Gesteins-Expeditionen sogleich die Schrecken der modernen Welt gespenstisch widerscheinen lassen. In seinen zeichnerischen Arbeiten auf Papier erwachsen aus anthropomorphen und landschaftlichen Assoziationen surreale Traumgestaltungen. Claus ist vor allem Zeichner, ein Meister der Tuschfeder. In seinen Kompositionen vereinen sich Bildliches, Skripturales, Kalligraphisches und Musikalisches zu feinsten Strichgespinsten, aus denen sich gesellschaftliche, biologische oder geologische Informationen herausfiltern lassen. Auch Uhlig unter den jüngeren Zeitgenossen geht vom Graphischen aus und ist mit getuschten Porträts vertreten, doch sein Strich ist eher wuchernd in der Gestaltung. In Morgners Werk steht der leidende Mensch im Mittelpunkt, zeichenhaft-beschwörend, wie im Diptychon „Für Bonhoeffer“, geschaffen aus Lavage, Tusche, Asphalt und Prägung auf Leinwand. Am wenigsten bekannt sind wohl Göschels Werke – abstrakte, fast monochrome Ölbilder aus den Achtzigern. Pastose Pinselstriche ergeben in zarter Andeutung eine „bergige Strukturlandschaft“ oder „große grüne Landschaft“.
Die derzeitige Ausstellung zeigt den zweiten Teil der „souveränen Wege“; eine umfangreichere museale Version ist von Kunstverein und Stadtmuseum Jena in Verbindung mit Jenaoptik AG erstellt worden. Nicht zuletzt die Beschränkung auf das Tafelbild dürfte erkennen lassen, daß hier kein kunsthistorischer Kanon des Nonkonformismus aufgebaut, sondern Anregungen gegeben werden sollen. Sicher noch ein offenes Kapitel. Michael Nungesser
Galerie Gunar Barthel, Fasanenstraße 15, Dienstag bis Freitag 11–19 Uhr. Bis 29. August. Katalog 35 DM
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