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Ein Hauch von Luxus

Anfang des Jahrhunderts entstanden in Berlin Gartenstadtkolonien für Arbeiter und Kleinbürger. Nach der Wende wurde das Konzept wieder aufgegriffen  ■ Von Lutz Göllner

Die Fliegersiedlung“, weiß Antonia Lubinski, „ist das Zehlendorf des kleinen Mannes.“ Sie muß es wissen, schließlich lebt sie seit Kriegsende in der Siedlung gegenüber vom Flughafen Tempelhof. Früher, in den 60er Jahren, erinnert sie sich, war es hier recht unangenehm, lebte man doch nur 200 Meter von der südwestlichen Einflugschneise entfernt. Aber seit der Zentralflughafen 1975 nach Tegel umgezogen ist, stört sie der Maschinenlärm der wenigen verbliebenen Flugzeuge nicht mehr.

Die Fliegersiedlung ist eine halbkreisförmige Niederlassung, dessen östliche Begrenzung der Tempelhofer Damm ist und die von einem Ring aus Grünanlagen gegen die nachbarlichen Wohnblöcke abgeschirmt wird. Bereits 1911 wurde sie nach dem Vorbild der englischen Gartenstadt Welwyn von dem Tempelhofer Baurat Fritz Bräuning entworfen. Der Gartenstadtgedanke, eine Möglichkeit, Arbeiter in schönen und geräumigen Häusern leben zu lassen und sie dadurch von der damals noch üblichen Zinspacht zu befreien, ging jedoch nicht nur von der britischen Insel aus. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ähnliche Siedlungen in Düsseldorf und Essen.

Auch in Berlin wurden nach der Jahrhundertwende verschiedene solcher Kolonien gebaut: 1908 die Gartenstadt Frohnau, 1911 die Preußensiedlung und 1913 die Gartenstädte am Falkenberg und in Staaken. Doch im Unterschied zu den gleich nach Reichsgründung entstandenen Villenkolonien Grunewald und Lichterfelde waren die Gartenstädte in der Regel eher kleinbürgerlich geprägt.

Durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, wurden die Arbeiten an der Fliegersiedlung erst 1920 wiederaufgenommen. Die 1919 gegründete Gemeinnützige Tempelhofer Feld-Heimstätten GmbH baute fast 2.000 Einfamilienhäuser mit Garten für Kriegsteilnehmer. Die schmalen Straßen mit ihren in den Formen des expressiven Realismus gehaltenen Häuserfassaden wurden auf der Gartenrückseite durch ein kunstvolles Geflecht von Dungwegen miteinander verbunden. Fritz Bräuning, der zwischen 1920 und 1928 die Planung der Siedlung durchführte, sorgte für Hofbildungen und führte die Bürgersteige immer wieder durch Arkadenhäuser. Schon bald füllte sich die von einem Parkkreis umschlossene Siedlung mit sozialdemokratischen Parteimitgliedern.

„Das Milieu war und ist hier kleinbürgerlich“, erzählt ein ehemaliger Bewohner der Siedlung. Und doch regte sich gerade in diesem Kreis Widerstand gegen die Naziherrschaft. Am Tempelhofer Damm lebten die Schwestern Elisabeth und Julie Abegg, die im Krieg Juden zur Flucht verhalfen oder sie in den Gärten der Kolonie versteckten. Und dem späteren Berliner Bürgermeister Ernst Reuter gelang 1935 die Flucht zum nahen Flughafen über die Gartenwege, als die Gestapo durch die Vordertür des Hauses im Kleineweg hereinkam.

Siedlungen wie das Fliegerviertel oder die in den zwanziger Jahren von Bruno Taut erbaute Hufeisensiedlung sind reine Schlafstädte. Versorgungs- und Einkaufseinrichtungen fehlen fast vollständig. Die Häuser in diesen Siedlungen konnten sich meist nur Arbeiter im Angestelltenverhältnis leisten. Und noch etwas ist auffallend: Siedler sind anscheinend umzugsresistente Menschen. In der Tautschen Hufeisensiedlung wohnen viele Mieter bereits in der zweiten und dritten Generation.

Den Berliner Wohnungsbau in der Nachkriegszeit symbolisieren moderne Ghettos wie das Märkische Viertel, die Gropiusstadt oder die Heinrich-Zille-Siedlung. Zu Recht gelten sie als Nachfolger der Mietskasernen aus dem Kaiserreich. Daran änderten auch die Bauausstellungen nichts, auch wenn sie von virtuosen Architekten inszeniert wurden und Farbe in die Häuserzeilen brachten. Doch unterm Strich blieb nur postmoderner Kitsch, der bereits nach wenigen Jahren grundsaniert werden mußte.

Erst nach der Wende, mit der Öffnung des Umlandes, entdeckten Architekten die Ideen der Gartenstädte wieder. Seit 1992 baut die Herlitz AG an der Gartenstadt Falkenhöh, einem ehrgeizigen Unternehmen des Baumeisters Helge Sypereck, der dafür bereits 1996 den Städtebaupreis der BfG Bank bekam. In der Begründung der Jury heißt es: In Falkenhöh „wurde versucht, Stadt, Siedlung und Mensch wieder mit der Natur zu versöhnen und aufs neue ein Gleichgewicht zwischen städtisch- zivilisatorischen und ländlich-geruhsamen Elementen herzustellen“.

Ein ganzer Stadtteil entsteht hier, mitten im Berliner Speckgürtel neu, mehr als 1.200 freifinanzierte Wohnungen und 340 Sozialwohnungen. Der zukünftige Siedler kann wählen zwischen Villen, Reihenhäusern und Wohnungen. Das hat nur wenig mit Ghettos für Besserverdienende zu tun. Auch Antonia Lubinski, Tempelhoferin aus Überzeugung, ist aus einem bestimmten Grund in die Fliegersiedlung gezogen: „Verglichen mit den sanitären Zuständen in den normalen Mietshäusern war die Ausstattung hier luxuriös.“ Und immerhin haben die Planer der neuen Gartenstädte diesmal an eine Infrastruktur gedacht: Einkaufsmöglichkeiten sind vor Ort, die Siedler müssen ihr Obst und Gemüse nicht mehr selber anbauen.

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