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Rom erhebt Anklage im Fall Ustica

■ Mehrere Generäle müssen sich wegen Spurenverwischung verantworten. Die Ursachen des Flugzeugabsturzes bleiben ungeklärt

Rom (taz) – Schwere Enttäuschung bei den Hinterbliebenen der Opfer, Verwirrung bei den Experten, klammheimliche Zufriedenheit beim italienischen Militär: Mehr als 18 Jahre nach dem wahrscheinlich durch eine Rakete verursachten Absturz einer DC 9- Passagiermaschine über der Mittelmeerinsel Ustica hat die Staatsanwaltschaft in Rom Anklage gegen vier Generäle und sechs weitere Offiziere erhoben – aber nur wegen der nachfolgenden Spurenverwischungen und Falschaussagen. Die Absturzursache wurde ausdrücklich als „ungeklärt“ offengelassen und somit jede Chance für eine endgültige Klärung des Todes von 81 Menschen genommen.

Nach Ansicht zahlreicher Fachleute und wissenschaftlicher Untersuchungen sowie mühsamer Rekonstruktionen der Vorgänge an jenem Juniabend war die DC 9 in ein vom Militär stets geleugnetes Manöver einiger Nato-Staaten und Frankreichs hineingeraten; Ziel der Militäraktion war wahrscheinlich der Versuch, den auf der Reise nach Warschau erwarteten libyschen Staatschef al-Gaddafi abzuschießen. Dessen Maschine befand sich tatsächlich im fraglichen Luftraum, drehte jedoch ab und landete auf der Insel Malta. Die USA und Frankreich haben bis heute nahezu keine Bereitschaft gezeigt, die Bewegungen ihrer Flugzeuge und Flugzeugträger offenzulegen; das italienische Radarmaterial war bereits kurz nach dem Unglück durch angebliche Unachtsamkeiten zerstört worden. Auch sonst weist der Fall zahlreiche beunruhigende Besonderheiten auf: Mindestens 15 Personen, die Wissen über Vorgänge an jenem Tag hatten, kamen auf merkwürdige Weise ums Leben; darunter auch zwei Piloten, die kurz vor dem Unglück in der Nähe auf einer Abfangjagd waren: Sie stürzten 1988 bei der Flugschau von Ramstein ab (70 Tote) – ebenfalls ein bis heute völlig ungeklärter „Unfall“.

Acht Jahre lang hatte der mit großen Vorschußlorbeeren angetretene Untersuchungsrichter Rosario Priore ermittelt, nachdem drei seiner Vorgänger jeweils wegen Unfähigkeit oder Unlust ersetzt werden mußten, doch herausgekommen ist auch bei ihm nicht sehr viel mehr als das berühmte Hornberger Schießen. Daß die Geheimdienste – sowohl der große militärische wie derjenige der Luftwaffe und dazu auch manch ausländischer – sich in Verneblungsaktionen geradezu überboten, war offensichtlich. Die Widersprüche zwischen den Aussagen konnten auch beim besten Willen nicht überdeckt werden – zumal offenbar der eine Verein jeweils gegen den anderen arbeitete und innerhalb mancher Dienste gar mehrere Fraktionen miteinander im Clinch lagen.

Daß Priore, der lange Zeit der Raketen-Theorie angehangen hatte, nun einen Rückzieher gemacht hat und die – von den Militärs ausgegebene, von nahezu allen Experten aber als lächerlich bezeichnete – These einer Bombenexplosion an Bord Raum gibt, ist ein neuer, ungeklärter Vorgang in der verwirrenden Ustica-Affäre. Hintergrundanalytiker vermuten, daß Priore im Zusammenhang mit unversehens lancierten Verdächtigungen, er habe vor Jahren Zuwendungen von undurchsichtigen Geldgebern angenommen, den Mut verloren habe und nicht mehr an dem Fall rühren wollte.

Hohe Strafen riskieren die Generäle gleichwohl – als Mitglieder des Generalstabs können ihnen Spurenverwischungen auch als „Angriff auf ein Staatsorgan“ ausgelegt und mit bis zu 15 Jahren Haft belegt werden. Werner Raith

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