■ Die Rettungstrupps in Lassing scheinen die Hoffnung, noch Überlebende im Bergwerk zu finden, aufgegeben zu haben. An eine völlige Einstellung der Arbeiten indes ist nicht zu denken. Die Bergleute wollen sich nicht geschlagen geben.: Ein ne
Die Rettungstrupps in Lassing scheinen die Hoffnung, noch Überlebende im Bergwerk zu finden, aufgegeben zu haben. An eine völlige Einstellung der Arbeiten indes ist nicht zu denken. Die Bergleute wollen sich nicht geschlagen geben.
Ein neues Wunder bleibt aus
„Biergenuß für den Kenner. Zipfer seit 1858“ verheißen die Reklameschilder über dem Biergarten des Gasthofs Rohrleitner in Lassing, der seit Tagen zur Imbißstation umfunktioniert ist. Feuerwehrleute, Gendarmen, Frauen und Männer in Ärztekitteln und Bergleute werden von einem professionellen Team gelabt.
Das Gasthaus Rohrleitner liegt dem Talkwerk der Neinsch- GmbH genau gegenüber. Nur wenige Schritte entfernt gähnt der inzwischen dank unzähliger Fernsehbilder zu Weltberühmtheit gelangte Krater, der am 17. Juli das Eigenheim der Familie Mayer verschluckte. Das Wasser konnte abgepumpt werden, nachdem es der Feuerwehr gelungen war, den Lassingbach komplett umzuleiten. Das trübe Rinnsal plätschert jetzt über schwarze Plastikplanen dahin. Der Boden, nicht mehr schlammig, aber noch weich von den Regenfällen, die die Katastrophe auslösten, federt unter dem Tritt. 100 Meter weiter liegt der Haupteingang jener Unglücksmine, in der vor über zwei Wochen neun Bergleute und ein Geologe von Gesteins- und Wassereinbrüchen überrascht wurden. Das Obersteierische Bergland, rund dreieinhalb Autostunden von Wien entfernt, ist ein beliebtes Erholungsgebiet, wo im Sommer gewandert wird und im Winter die Skilifte in Aktion treten. Im wenige Kilometer entfernten Hinterstoder kündet ein Schild von den Vorbereitungen für ein Weltcuprennen im Jahre 2000. Urlaub auf dem Bauernhof bietet den Landwirten seit Jahren einen erfreulichen Zusatzverdienst. Inmitten dieser Idylle spielt sich seit zweieinhalb Wochen ein menschliches Drama ab, das während der politischen Sommerferien als schaurige Sommerunterhaltung der Nation inszeniert wird.
Das Dorf ist an diesem Montag wie ausgestorben. Kein Lassinger läßt sich blicken, seit bekannt ist, daß die Rettungsaktion keinen Hinweis auf Überlebende gebracht hat. „Ich möcht' gar nichts sagen. Man fühlt halt mit“, flüstert eine sichtlich genervte Bäuerin und zieht hastig die Türe hinter sich zu.
Die Gendarmerie hat das Bergwerk abgeriegelt. Überall liegen Rohre, die von den Pumparbeiten zeugen. Auf der Wiese hinter dem Wirtshaus ist eine Mediencity mit Satellitenfahrzeugen aus allen Nachbarländern gewachsen. Reporter mit Handys am Ohr eilen herum und finden doch nur Kollegen für das Interview. Und natürlich die zahlreichen Kratertouristen, die mit Kamera und Feldstecher gekommen sind, „um Verwandte zu besuchen“.
Am Sonntag, dem Tag 17 der Katastrophe, hatten Hoffnung und Ernüchterung nah beisammen gelegen. Als am Nachmittag der erfolgreiche Durchstich des Versorgungsstollens zum sogenannten Dom, wo man die verschütteten Bergleute vermutet hatte, gemeldet wurde, herrschte Euphorie. Jemand wollte aus dem Innern der Grube deutliche Klopfzeichen vernommen haben. Wenig später ließ man eine Kamera in die Tiefe und holte die Angehörigen.
Doch bald nachdem die am Bohrloch eintrafen, um auf erste Lebenszeichen der Vermißten zu warten, folgte die Enttäuschung. Die in das 120 Meter tiefe Loch abgeseilte Kamera lieferte keine Bilder von menschlichem Leben. „Wir haben keine Personen gesehen“, berichtete der sichtlich enttäuschte Sprecher der Einsatzleitung, Alfred Zechlink, im abendlichen Briefing. Die unscharfen Bilder aus der Tiefe zeigten die Kuppel eines Silos und das Eisengeländer über einem Gittersteg. Wie erwartet, dürfte die Ausbuchtung des Stollens nie völlig überflutet worden sein. Über dem Wasser wurden 130 Zentimeter bis zur Decke gemessen. Die nach unterschiedlichen Schätzungen 80 bis 200 Kubikmeter Luft hätten trotz des Überdrucks von 0,8 Bar das Überleben der Männer ermöglicht, wenn sie es geschafft hätten, sich beim Einsturz der Grube in diesen Stollen zu retten.
Der Mediziner Karl Hellemann vom Roten Kreuz in Wien wollte es nicht so deutlich ausdrücken. Doch daß die Kumpel mehr als zwei Wochen lang auf der Kuppel des Silos hockend überleben konnten, ohne aus Entkräftung und Übermüdung in das acht bis zehn Grad kalte Bergwasser zu gleiten, das würde wirklich an das Wunder grenzen, das die Bewohner von Lassing seit zwei Wochen herbeizubeten versuchen.
Die in der Nacht eingeschleuste stärkere Kamera brachte schließlich die lange befürchtete Gewißheit: Im Dom gibt es weder Anzeichen für Lebende noch für Tote. Auch ein zweiter Hoffnungsschimmer verblaßte an diesem Wochenende: die Möglichkeit eines Abstiegs durch den Wetterschacht, den gesetzlich vorgeschriebenen Notausstieg, der durch den Wassereinbruch verstopft wurde. Was vor wenigen Tagen wegen des hohen Wasserstandes in der Grube noch undenkbar gewesen wäre, wurde am Sonntag schließlich parallel zu den Sondierungsversuchen im Versorgungsschacht unternommen: Der pensionierte Grubenarbeiter Eduard Draxl, der der Einsatzleitung tagelang im Nacken gesessen hatte, weil sie diesen möglichen Rettungsweg vernachlässigt hätte, durfte mit einem Team der Deutschen Bergwehr hinunter. Drei Stunden lang versuchten die Minenexperten erfolglos Schlamm und Geröll beiseite zu schaffen. Dann gab sich auch Draxl überzeugt. „Keine Chance“.
Die Einsatzleiter sind offenbar ratlos, wie es weitergehen soll. An die völlige Einstellung der Arbeiten ist nicht zu denken. Doch das Herunterfahren der Aktionen von Rettungsarbeiten auf Bergungsarbeiten, also die Suche nach den sterblichen Überresten der Bergleute, soll von einem medizinischen Gutachten abhängig gemacht werden. Und selbst wenn die Mediziner meinen, es gebe keine Hoffnung mehr, wollen sich viele Bergleute nicht geschlagen geben. Sie haben verlauten lassen, sie würden auch gegen den Willen der Einsatzleitung auf eigene Faust weiterbuddeln. Ralf Leonhard, Lassing
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen