: Viele ernste Reden über das ewige Kunstgerede
■ Eine „Totalinstallation“ von Johan van Geluwe in der Weserburg veräppelt das übliche Vernissagenritual und zeigt so Chancen und Grenzen der Selbstkritik von Kunst / Doch auf Video brilliert nur Klaus Pierwoß als Kabarettist
Und immer wieder Adorno: Es gibt kein wahres Leben im falschen, auch nicht in der Kunst. Erfolgsgeilheit, Marktanpassung, Konkurrenzdenken, das künstliche Erzeugen von Bedürfnissen, Bedeutungen und Geschmacksrevolutionen: Alle Unerfreulichkeiten dieser unserer Marktwirtschaft schlagen sich auch in der Kunst nieder, in snobigen Künstlerpersönlichkeiten hier, Verkanntheitsattitüden dort, protzigen Hochglanzkatalogen, aufgetakeltem Kunstsprech und schlanken Vernissagensektkelchen.
Seit Dada und Fluxus überläßt die Kunst das Überdenken solch unerfreulicher, gänzlich unbeuysscher Verquickungen von Kunst und Leben nicht mehr den Soziologen. Sie macht sich selbst an die Arbeit und übt Selbstkritik; zumeist schmunzelnd.
Die documenta X und Guy Schraenens Buchabteilung der Weserburg erinnerten 1997 an Marcel Broodthaers und seine Idee vom „fiktiven Museum“; sie taten das aus historisierendem Blickwinkel. Schließlich ist es exakt 30 Jahre her, daß Broodthaers erstmals Kunstbetrieb simulierte, Plakate druckte, Einladungen verschickte, Konzepte zusammenschwadronierte – und die dazugehörige Ausstellung unter den Tisch fallen ließ. Kunst präsentierte sich als bunte Geschenkpackung ohne Inhalt.
Ein anderer Belgier folgte diesem Schalk. 1975 gründete Johan van Geluwe (sprich: Schölüwe) sein „Museum of Museum“. Im vir-tuellen Raum herumvagabundierend, hat sich dieses „Museum der Kunst des Ausstellungsmachens“ jetzt für zwei Monate in Bremen niedergelassen. Sein Forschungsgegenstand: das ewig gleiche Vernissagenritual.
Die oberste Etage der Weserburg wurde zum Ort inhaltsleerer, hierarchischer, machtdemonstrierender Feierlichkeit umdekoriert: protziges Rednerpult, roter Teppich, schwerer Plüsch, billige Goldbordüren, Nationalfahnen aus ekliger Kunstfaser. Das ist keine sanfte Ironie mehr, sondern vernichtende Selbstkritik. Wer diese Installation ernst nimmt, der darf eigentlich guten Gewissens keine Vernissage mehr durchziehen. Aber: Zum Glück ist die Kritik am Betrieb längst selbst Teil des Betriebs geworden. Sie erntet wissendes Schmunzeln und ändert nichts. Alles rotiert munter weiter. Und so gibt es natürlich auch zu Geluwes Installation einen Katalog und jede Menge Erläuterungen.
Es war Mitte Juni, da fand die Eröffnung der „Kunsteröffnung“ statt. Das Team der Weserburg hatte vier Redner eingeladen. Die gingen höchst unterschiedlich mit der vertrackten, selbstreferenziellen Situation um.
Zum Beispiel der Hagener Museumsdirektor Michael Fehr. Der sprach in seiner Einführung über die allgemein gültigen Gepflogenheiten des Einführens. Es sei – so erfuhr man – anzuraten, sich hochkarätiger Einführer zu bedienen. Der Glanz der Namen würde nämlich jede Ausstellung aufwerten. Ein bißchen frotzelte Fehr dann noch über das „eigentümliche Vokabular des Nicht-Eigentlichen“.
Der belgische Ex-Botschafter van der Espt hingegen agierte wie gewohnt. Von bewährten Meine-Damen-und-Herrn-Höflichkeiten über eine penetrante Anpreisung seines „Freundes“ van Geluwe bis zu den obligatorischen kunsthistorischen Verschubladungen perpetuierte er das altbekannte Zeremoniell; als hätte er nicht ganz kapiert, daß es um dessen Brechung ging. Die Rede von Johan van Geluwe himself war kaum intelligenter. Er klagte allgemeinplätzig über die Domestizierung von Kunst, um dann ganz altmodisch, ganz pathetisch, ganz gläubig von der Veränderungskraft der hehren Ku-hunst zu schwärmen: „Wer mit Kunst umgeht, gibt sich preis, er wird mit anderen und mit sich selbst konfrontiert.“
Nur Theaterintendant Klaus Pierwoß verstand es, die groteske Situation klug zu nutzen. Das so ernste Hinterfragen abgehalfterter Festtraditionen münzte er um in eine verdrehte Attacke gegen die neue Eventkultur à la McKinsey. Pierwoß ironisierte die Unternehmensberatung, indem er McKinsey ernst nahm. Die logische Folgerung des modischen Breis aus Effizienz, Synergie und Ressourcenschonung sei doch die weise Beschränkung musealen Handelns auf eine einzige zünftige Großeröffnung. Pierwoß' Rede war pures Kabarett, also Kunst; wohingegen selbst Geluwe übers übliche Erklären nicht hinauskam.
So gibt also der Billigprotz oben in der Weserburg mitsamt einer Videoaufzeichnung von den Reden eine Idee davon, wie mehr oder weniger ernst es der Kunst ist, mit der Hinterfragung der Kulturvermarktung. bk
Bis zum 6. September im Neuen Museum Weserburg. Öffnungszeiten: Dienstags bis freitags von 10-18 Uhr, samstags und sonntags von 11-18 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen