Der Papst will den Papierlosen helfen

In Frankreich versuchen die ImmigrantInnen ohne gültige Papiere, mit neuen spektakulären Besetzungen auf ihre ungeklärte Situation hinzuweisen. Auch ein neuer Hungerstreik scheint nicht ausgeschlossen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Die Spaghetti hier sind fabelhaft,“ schwärmt Madjiguéne Cissé über ihr Handy aus dem Inneren der päpstlichen Botschaft heraus. Auch sonst kann die Sprecherin der kleinen Gruppe von papierlosen ImmigrantInnen und französischen UnterstützerInnen, die seit vergangenem Samstag die „Nuntiatur“ im 16. Pariser Arrondissement besetzt hält, mit dem vorläufigen Ergebnis ihrer Aktion zufrieden sein: Der Papst persönlich – „eine international anerkannte moralische Autorität“ (Cissé) – hat sich eingeschaltet. Er hat seinen Nuntius schriftlich beauftragt, bei der französischen Regierung zugunsten der „Papierlosen“ zu intervenieren. Die Botschaft verlassen, wie es der französische Innenminister verlangt, wollen die BesetzerInnen trotzdem nicht. „Wir bleiben, bis wir klare Zusagen von der Regierung haben“, sagten sie gestern.

Die Klärung ist tatsächlich längst überfällig. Vor exakt zwei Jahren beendete die französische Polizei mit Axtschlägen auf die Türen der Pariser Kirche St. Bernard die monatelange Besetzungsaktion von rund 200 AfrikanerInnen, die damit auf ihre prekäre rechtliche Lage als „Papierlose“ in Frankreich aufmerksam machen wollten. Die damalige Forderung: „Papiere für alle“ sorgte zwar für das Entstehen einer breiten Solidaritätsbewegung, die letztlich auch zum frühen Ende der Regierung Juppé beitrug. Aber auch die nachfolgende rot-rosa-grüne Regierung gab nicht allen BesetzerInnen von St. Bernard Aufenthaltspapiere. 17 von ihnen warten immer noch.

Mehr noch: Unter der rot-rosa- grünen Regierung hat sich die Situation der „Papierlosen“ dramatisch zugespitzt. Nachdem Innenminister Jean-Pierre Chevènement im vergangenen Jahr die „integrationsbereiten Klandestinen“ dazu aufgefordert hatte, Anträge auf eine Regularisierung zu stellen, lehnte er im Mai dieses Jahres 70.000 (der insgesamt 150.000) Anträge ab.

Damit befinden sich nun 70.000 Betroffene in der Lage, sich selbst angezeigt zu haben und den Behörden einen detallierten Überblick über ihr klandestines Leben in Frankreich, inklusive (schwarzem) Arbeitsplatz und (schwarzer) Adresse, geliefert zu haben. Theoretisch können die meisten von ihnen abgeschoben werden. Praktisch allerdings – darin stimmen die MitarbeiterInnen des Innenministeriums mit den ImmigrantInnen und ihren BeraterInnen überein – ist eine Abschiebung von 70.000 Personen aus Frankreich gegenwärtig ein Ding der Unmöglichkeit. Zumal der sozialistische Premierminister Lionel Jospin bei einer Afrika-Reise versprochen hat, keine Abschiebe-Charterflüge mehr einzusetzen.

Angesichts dieser widersprüchlichen Situation hatten die SprecherInnen verschiedener Immigrantenorganisationen einen heißen „Geburtstagsmonat“ August angekündigt. Schon in den vergangenen Monaten entstanden in Frankreich ständig neue Papierlosenkollektive. Jetzt zeigt sich auch, daß die August-Prognose stimmte.

Am vergangenen Samstag, als Madjiguéne Cissé und die Ihren im Schatten eines Briefträgers in die Nuntiatur schlüpften, machte sich ein anderer ehemaliger Sprecher der BesetzerInnen von St. Bernard auf den Weg nach Afrika. Zusammen mit 40 anderen, teilweise gefesselten und geknebelten Freiwilligen startete er mit einem „Freundschaftscharter“ in Richtung Mali und Senegal, wo die Gruppe ehemalige Papierlose aus Frankreich besuchen will.

Eine andere Gruppe, das „3. Kollektiv der Papierlosen“, dem vor allem Migranten aus der Türkei und China angehören, schickt sich nun ebenfalls zu neuen spektakulären Aktionen an. Bis Mitte Juli hatte die Gruppe einen über 30tägigen Hungerstreik veranstaltet, an dessen Ende das Innenministerium ihnen zugesagt hatte, rund 1.000 Dossiers erneut zu prüfen. Nachdem die meisten dieser Dossiers weiterhin offen sind, mehren sich die Rufe nach einer Wiederaufnahme des Hungerstreiks „als einzigem Mittel, die Öffentlichkeit und die Regierung hellhörig zu machen“. Doch vorerst wird das „3. Kollektiv“ vermutlich nach anderen Aktionsformen suchen müssen. Begründung: „Das Innenministerium prüft nur, wenn wir nicht wieder hungerstreiken.“