: Grenzenlose Freiheit ohne Risiko
Magnetische Erlebniswelt und 2000 Arbeitsplätze: Zwei vollmundige Männer wollen der Reeperbahn ihre Philosophie aufdrücken ■ Von Sven-Michael Veit
Das Eigenlob ist überschwenglich: „Eine Vision wird Wirklichkeit“, behauptet das Werbevideo, ein „einzigartiges Projekt der Erlebnisgastronomie“ werde auf St. Pauli entstehen. Hermann Müller und Georg Bitterwolf heißen die Männer, die ihre Pläne für „eine magnetische Welt der unbegrenzten Dienstleistungen“ auf der Reeperbahn 151 - 157 gestern präsentierten, nachdem der Bezirk Mitte vorige Woche den Bau-Vorbescheid erteilte.
Für 200 Millionen Mark wollen die beiden ab Anfang nächsten Jahres das Niebuhr-Hochhaus gegenüber der Großen Freiheit zu einem „einmaligen Freizeit- und Vergnügungszentrum“ mit Öffnungszeiten rund um die Uhr umbauen. Auf sechs Etagen, die dem Hochhaus vorgebaut werden, sollen in der „Kleinen Freiheit“ ab Silvester 2001 rund 200 Unternehmen aus Gastronomie, Kultur, Entertainment und Handel „einen deutlichen Kontrast zur benachbarten Rotlichtszene setzen“. Auch ein 1200 Plätze umfassendes Varieté-Theater und eine Großdisco sollen auf den knapp 20.000 Quadratmetern Platz finden.
Das bestehende Wohnhaus soll grundlegend saniert und um ein zweigeschossiges Penthouse aufgestockt werden. Die 160 Wohnungen „mit überdurchschnittlichem Standard“ sollen für 18 bis 20 Mark netto/kalt pro Quadratmeter vermietet werden. Zur Zeit gibt es dort 149 Wohnungen. Die 50 Meter hohe Fassade zur Reeperbahn wird mit der „weltgrößten Videomatrix-Werbewand“ versehen werden. Auf einer Fläche von 500 Quadratmetern werde der „attraktivste Werbeblickfang der Stadt“ entstehen, verspricht Müller.
Der 46jährige, der sich als „erfahrener Gastronom und Unternehmensberater“ bezeichnet, hat seine Erfahrungen vor allem als Chef des einstmals größten europäischen Bordells „Pascha“ in Köln gemacht. Die Millionen streckt der Nürnberger Investor Bitterwolf vor, der auch schon Müllers Puff am Rhein finanziert hat. Das „weltweit einmalige“ Betreiberkonzept, das Müller ersonnen hat, verspreche potentiellen Pächtern der einzelnen Geschäfte „praktisch eine Investition ohne Risiko“.
Ob Restaurant, Laden oder Jazz-Keller, alles würde „schlüsselfertig“ erstellt, einschließlich Einrichtung und Ausstattung „bis zur Kaffeetasse“. Statt einer Miete zahlen die künftigen Betreiber acht bis zehn Prozent des Umsatzes als Pacht an Bitterwolfs Gesellschaft, deren Geschäftsführer Müller sein wird. Sollte ein Betreiber zu wenig Umsatz erwirtschaften, so Müller, dann „suchen wir den Fehler auch bei uns“.
Auch in punkto Arbeitsplätze schrecken Müller und Bitterwolf vor Vollmundigem nicht zurück. 2000 Jobs wollen sie mit ihrem Konzept schaffen: „Keine Nebenjobs, keine 620 Mark-Jobs – sondern richtige Arbeitsplätze.“ Für die Wahrung der „Corporate Identity“ werde das gesamte Personal „vom Türöffner über den Parkwächter, der Autos auf den Parkplatz fährt, bis zum Küchenchef im Spezialitäten-Restaurant“ in mindestens drei Seminaren zentral geschult.
Für deren Ausbildung sorgt Geschäftsführer Müller, der auch aufpassen will, daß die Pächter „sich unserer Philosophie unterwerfen“. Und die lautet, so verheißt es das Werbevideo, „ein kühnes Projekt zu realisieren, das der grenzenlosen Freiheit des Unternehmertums gewidmet ist“.
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