: Bestattung auf der Deponie war kein Geheimnis
■ In Serbien werden die Gerüchte über ein Massaker als „Medienkrieg gegen die Serben“ bewertet, schon deshalb, weil selbst albanische Quellen von insgesamt 50 Toten berichteten
Die Nachricht, serbische Polizisten hätten in Orahovac ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung angerichtet und Hunderte Frauen und Kinder auf einer Mülldeponie verscharren lassen, löste in Serbien Empörung aus. Zweifellos würden im Krieg im Kosovo Menschen erschossen. Aber die Vorstellung von einem Massaker an kosovo-albanischen Kindern und Frauen und unbewaffneten Männern sei einfach zu grauenhaft. Und daher nicht glaubhaft. Die Möglichkeit eines Massenmordes in Orahovac wird in Serbien als Teil des „Medienkrieges gegen Serbien und die Serben“ verworfen.
Erst in der vergangenen Woche hatte das Schattenparlament der Kosovo-Albaner in Priština bekanntgegeben, bisher seien „mindestens 500 Menschen in den fünfmonatigen Auseinandersetzungen umgekommen“, etwa 400 würden vermißt. Nach Angaben der serbischen Behörden hat die Kosovo- Befreiungsarmee (UCK) vor einigen Wochen das Städtchen Orahovac erobert und die dort lebenden Serben vertrieben. Dies sei ein Wendepunkt im umkämpften Kosovo gewesen, erstmals hätte die UCK gewagt, eine Stadt anzugreifen. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte sie einen klassischen Partisanenkrieg geführt und offene Auseinandersetzungen nach Möglichkeit vermieden.
Der Angriff auf Orahovac im Süden des Kosovo war Teil einer Großoffensive der UCK in der gesamten Provinz. Zur gleichen Zeit hatten Tausende albanischer Rebellen vergeblich versucht, sich aus Albanien in den Kosovo durchzukämpfen. Am 17. Juli brachen die Kämpfe um Orahovac aus. Einige Polizisten hatten sich in die Polizeistation im Zentrum der Stadt zurückgezogen und wurden tagelang von den UCK-Kämpfern belagert. Bis zum 20. Juli, als sie Verstärkung bekamen.
Vom 20. bis zum 23. Juli wurden in Orahovac Straßenkämpfe geführt. Dann verkündete das serbische Innenministerium: „Albanische terroristische Banden sind aus Orahovac vertrieben worden. Die Bevölkerung kann wieder zurückkehren.“
Sofort sickerten Gerüchte über angebliche Massaker an kosovo- albanischen Zivilisten durch. Niemand schenkte ihnen jedoch viel Beachtung. Vor allem, weil selbst albanische Quellen von insgesamt 50 Toten in Orahovac sprachen. Serbische Medien berichteten von „einigen Dutzend Toten“. Es war auch bisher kein Geheimnis, daß serbische Polizisten die nicht identifizierten Leichen kosovo-albanischer Kämpfer auf der nahe liegenden Mülldeponie begraben ließen, damit sie bei dem heißen Wetter nicht unbegraben verwesten. Diese Stellen wurden symbolisch gekennzeichnet.
Blitzartig ging dann am Dienstag abend das Gerücht vom Massaker an 430 Kindern und 137 erwachsenen Frauen und unbewaffneten Männern in Orahovac um die Welt. Die Leichen hat bisher zumindest von offizieller Seite niemand gesehen. Beim Flüchtlingswerk der UNO (UNHCR) heißt es, nach dem Wissen ihrer Beobachter sei Orahovac serbischer Artillerie ausgesetzt gewesen. Vorher jedoch hätte die kosovo-albanische Zivilbevölkerung die Stadt verlassen.
Was genau sich in Orahovac zugetragen hat, wird sich bald herausstellen. Die serbischen Behörden wären jedenfalls gut beraten, schleunigst ausländische Beobachter nach Orahovac einzuladen und ihnen Ausgrabungen auf der Mülldeponie zu ermöglichen, wo dem Gerücht nach 567 Zivilisten verscharrt worden sind. Andrej Ivanji, Belgrad
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