Washington rügt Bonn wegen Abschiebung von Bosniern

■ US-Regierung befürchtet, daß die erzwungene Rückkehr bosnischer Flüchtlinge den Friedensprozeß im früheren Jugoslawien gefährdet. Auswärtiges Amt weist Kritik zurück

Genf (taz) – Nach einer internen Intervention von US-Außenministerin Madeleine Albright bei ihrem deutschen Amtskollegen Klaus Kinkel Mitte Juli haben die USA jetzt auch öffentlich scharfe Kritik an der erzwungenen Rückkehr bosnischer Flüchtlinge aus Deutschland geübt. Washington warnte Bonn vor der Gefahr einer Destabilisierung Bosniens. Besorgt über die sich verschärfende Situation in Bosnien äußerte sich auch das UNO- Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR).

Die „erzwungene“ Rücksendung von Flüchtlingen aus Deutschland drohe den Friedensprozeß zu gefährden, erklärte ein hoher Beamter der Clinton-Administration in der Nacht zum Mittwoch in einem Interview mit der dpa. Washington werde deshalb auf höchster Ebene in Bonn vorstellig werden. Der Beamte, der anonym bleiben wollte, machte für das deutsche Verhalten politische Motive wegen der Bundestagswahl am 27. September verantwortlich.

Bei der Umsetzung des Dayton-Abkommens vom Dezember 1995 sei die Rückführung der Flüchtlinge besonders in Gebiete, in denen sie eine ethnische Minderheit sind, das größte Problem, unterstrich der Beamte. In Deutschland leben derzeit noch rund 150.000 Bosnien-Flüchtlinge, zu mehr als 80 Prozent Muslime und Kroaten aus dem Gebiet der heutigen bosnisch-serbischen Teilrepublik. Die Behörden dieser Teilrepublik ließen seit dem Dayton-Abkommen lediglich die Rückkehr von 850 nichtserbischen Flüchtlingen zu. Der US-Beamte äußerte die Sorge, die zwangsweise Abschiebung dieser Menschen durch deutsche Behörden vor den Wahlen in Bosnien-Herzegowina am 12./13. September werde Extremisten wie dem früheren Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, und seinen Gefolgsleuten direkt in die Hände spielen. Ähnlich äußerte sich der US-Sonderbotschafter für das frühere Jugoslawien, Robert Gelbhard. „Es ist ironisch, daß die erzwungene Repatriierung durch Deutschland Bosnien destabilisieren und zu einer neuen Flüchtlingsflut nach Deutschland führen könnte. Das ist ein Bumerang.“ Ein Sprecher des UNHCR erklärte gegenüber der taz, die Rückkehr Tausender Flüchtlinge in zum Teil bereits mit Binnenflüchtlingen überfüllte Regionen der muslimisch-kroatischen Föderation schaffe dort „zunehmend Probleme“.

Die Kritik aus Washington ist nicht die erste Intervention aus den Vereinigten Staaten. Nachdem Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) am 9. und 10. Juli in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mehr als 70 bosnische Flüchtlinge festnehmen und nach Sarajevo ausfliegen ließ, beschwerte sich US-Außenministerin Madeleine Albright telefonisch direkt bei ihrem Bonner Amtskollegen Kinkel.

Ein Sprecher Kinkels tat die jüngsten Vorwürfe aus Washington gestern mit der Bemerkung ab, diese seien „nicht neu“ und das Auswärtige Amt werde darauf nicht reagieren. Zurückgewiesen wurde die Kritik vom Bosnien-Beauftragten der Bundesregierung, Dietmar Schlee (CDU). Auf Flüchtlinge werde „kein Rückkehrdruck ausgeübt“. Die Bundesregierung und die Landesregierungen seien sich einig, daß die Rückkehr der bosnischen Flüchtlinge „konsequent und kontinuierlich“ weitergehen müsse. azu