: Einzelhandeln – bis die Altstadt kaputt ist
■ Der Stadtplaner Thomas Sieverts über falsche Konzepte in Bremen und anderswo / Den Space Park fände er gut
Was macht es schon, wenn in der Bremer Innenstadt ein paar Kaufhäuser dichtmachen? Wenn der ohnehin von austauschbaren Filialen dominierte Einzelhandel sich unter dem Druck der Einkaufszentren aus der City zurückzieht? Ist es nicht vielmehr wünschenswert, wenn endlich die völlig überhöhten Bodenpreise und Mieten sinken? Endlich wäre in der Altstadt wieder Platz für andere Nutzungen, für Kultur, für junge Unternehmen, für Wohnungen.
„Der Einzelhandel kann nicht mehr automatisch die Leitfunktion für die alte Stadt sein“. Mit diesen knappen Worten erteilt der renommierte Stadtentwicklungsprofessor Thomas Sieverts aus Darmstadt der zur Zeit in Bremen und anderswo betriebenen „defensiven Verteidigung“ der Innenstadt eine klare Absage. Stattdessen müsse für die Altstadt eine neue Funktion beschrieben werden, die Sieverts als „Werkstatt, Bühne und Experimentierfeld“ zu fassen sucht.
Das Bremer Stadtentwicklungskonzept „verschließt die Augen vor der Realität“, indem es sich an ein längst nicht mehr bestehendes Idealbild der europäischen Stadt klammere, das durch Merians Stadt-Ansichten oder romantisierende Vorstellungen von der urbanen Dichte des 19. Jahrhunderts gespeist werde. Bei einem von der AfB organisierten Vortrag beschwor Sieverts jetzt in Bremen die Gefahr dieser defensiven Stadtentwicklungspolitik: Bedenklich sei es, wenn die Innenstadt unter der Ägide der City-Manager versuche, es den Shopping Centern nachzutun, es aber schon aus Gründen der schlechteren Erreichbarkeit nicht schafft und die alte Stadt schließlich in ein schlechtes Einkaufszentrum verwandelt. „Der Einzelhandel kämpft um seinen Erhalt und sei es, daß die Altstadt kaputt geht“, so der Planer. Schon jetzt verschandelten die Parkhäuser und Zufahrtsstraßen das historische Zentrum.
Der Professor, der mit seinem Buch „Zwischenstadt“ 1997 in der Fachwelt Aufsehen erregte, plädiert für eine Abkehr vom Zentralismus und fordert Planer und Architekten auf, sich der Peripherie zuzuwenden, wo bisher weitgehend ungeordnet Schnellstraßen, Reihenhaussiedlungen, Kleingärten, Äcker, Fabriken, Lagerhallen und Verbrauchermärkte in zumeist unattraktiver Gestalt nebeneinander existieren. In den Randbereichen müßten auch kulturelle Zeichen gesetzt werden, unter dem Motto „urban ist da, wo es Spaß macht“, wie der ehemalige Bau-Staatsrat Eberhard Kuhlenkampff es formulierte.
Um dieser neuen Aufgabe gerecht zu werden, müßten Planungskompetenzen von den Gebietskörperschaften auf zu schaffende regionale Organe übergehen, so Sieverts unwidersprochene These. Die bisherige Organisation Stadt sei dafür zu klein. Jede Planung, die wie das Bremer Stadtentwicklungskonzept an den Stadtgrenzen aufhöre, sei absurd. Gerade in Bremen gibt es Vorbilder, erinnerte ein Zuhörer: Die Wasserwirtschaft, die Deiche und Abwassergräben in Ordnung halte und verhindert, daß alles Land neben der Bremer Altstadtdüne absäuft, sei seit Jahrhunderten grenzüberschreitend organisiert.
Andererseits sei die Stadt zu groß, um die Detail-Angelegenheiten vor Ort zu regeln, sagte Sieverts und lobte das Bremer System der Ortsbeiräte und Ortsämter. Zu einer Einmischung der Bürger in ihre ureigenen Angelegenheiten sieht Sieverts keine Alternative, obgleich er die Gefahr sieht, daß bornierter Ortsegoismus die Gesamtperspektive aus den Augen läßt.
Insofern gab der Professor auch jenem Bürger aus dem fernen Bremen-Nord recht, der bei der AfB-Veranstaltung in der Bürgerschaft die Schließung der Stadtteilbibliothek Blumenthal beklagte. „Der defensive Versuch, alle Funktionen der Stadt ins Zentrum zurückzuholen, ist verkehrt“.
Der Stadtplaner gewinnt auch einigen Teilen des vom Bremer Senat, speziell der Wirtschaftsbehörde, verfolgten „Multizentren-Konzept“ positive Seiten ab. Es müsse aber generell viel stärker auf die architektonische und ästhetische Qualität dessen geachtet werden, was draußen gebaut werde. Dort müßten ebenso hohe Qualitätskriterien gelten wie in der Innenstadt.
Ein Space-Park samt Einkaufszentrum auf der AG-Weser-Brache wäre durchaus in Sieverts Sinne: Denn hier würden alte Flächen recycelt, mit neuen Nutzungen versehen und so im bislang unstrukturierten Raum der Zwischenstadt neue Zeichen gesetzt. Damit entspräche das Projekt einer seiner zentralen Forderungen: Es dürfen keine neuen Flächen mehr betoniert werden. Vielmehr müsse eine konsequente Kreislaufwirtschaft in der Stadt betrieben werden, schon allein deshalb, weil die Unterhaltungskosten jeder neuen Fläche langfristig das Budget der Städte auffresse, selbst wenn es erstmal billiger sei als Flächen wiederzubeleben. Wirtschaftsförderung nur nach Autobahnanschlüssen sei in Großstädten zum Scheitern verurteilt. Stattdessen müßten kreative Millieus geschaffen werden, in denen die Akteure der neuen Epoche, die Sieverts kommen sieht, sich entfalten könnten.
Stadtplaner müßten darum viel stärker die Dimension Zeit in ihr räumlich geprägtes Denken einfließen lassen. Denn die Stadt des Jahres 2030 sei „zu 80 Prozent schon heute gebaut“. Insofern sei der Umbau, die Umnutzung, die Reparatur Aufgabe „nachhaltiger Stadtentwicklung“.
Zu diesem Umdenken gehört für Sieverts auch ein Abschied von der gedanklichen Zweiteilung Stadt – Land. Die Freiflächen in der Nähe der Großstädte hätten ihre Funktion als bloßer Naturraum oder Ort der Landwirtschaft längst verloren. Stattdessen hätten die Stadtbewohner das Land als Erholungsraum erobert, davon zeugen Reitställe, Zweithäuser, Kleingärten. Das planerische Eigenleben von Land- und Fortswirtschaft sei überholt.
Peripherie und Stadt müßten gesamtplanerisch als neue Stadtlandschaft gefaßt werden, so Sieverts Forderung. Und anstatt sich mit der aussichtslosen Verteidigung der Innenstadt für den Einzelhandel aufzuhalten, sollten die Stadtplaner lieber überlegen, wie die Großsiedlungen der Nachkriegsära, die für eine vollbeschäftigte Industriearbeiterschaft gebaut seien, zu echten Lebensräumen für die von regelmäßiger Erwerbsarbeit dauerhaft ausgeschlossenen Verlierer der Globalisierung umzugestalten seien. Joachim Fahrun
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