: Koalition kappt Kappungsgrenze
Sechs Millionen Haushalten droht höhere Miete. Die Bundesregierung läßt das Gesetz zur 20prozentigen Mieterhöhung auslaufen. Opposition war chancenlos ■ Von Rolf Lautenschläger
Berlin (taz) – Auf die Mieter und Mieterinnen preisgünstiger Wohnungen rollen ab dem 1. September 1998 saftige Mieterhöhungen zu. Weil die Bonner Koalition das bestehende Mietänderungsgesetz aus dem Jahr 1993 in ihrer letzten Sitzungswoche von der Tagesordnung genommen hatte und es nun auslaufen läßt, können Hauseigentümer in sogenannten Ballungsräumen vom Herbst an 30 Prozent mehr Miete innerhalb von drei Jahren fordern.
Die bislang gültige „Kappungsgrenze“ von 20 Prozent für Mieterhöhungen im gleichen Zeitraum für städtische Wohungsbestände, die vor 1981 realisiert und zu einem Quadratmeterpreis von über acht Mark angeboten wurden, wird somit aufgehoben. Nach Auskunft von Hartmann Vetter, Chef des Berliner Mietervereins, betrifft dies rund sechs Millionen Wohnungen mit zirka 15 Millionen Bewohnern.
Der Bund hatte 1993 die 20prozentige Kappungsgrenze eingeführt, um die soziale Mischung innerhalb der Ballungsräume zu garantieren. Allerdings war das Gesetz bis zum 31. August 1998 befristet. Die Entscheidung der Koalition, die Regelung zu kappen, basiert auf dem Wunsch, endlich ein „bundesweit einheitliches Mietänderungsgesetz“ einführen zu wollen, wie ein Sprecher des Bundesbauministeriums sagte. Darüber hinaus sei eine Verlängerung der 20prozentigen Kappungsgrenze nicht erforderlich, da sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannt habe.
Dem widersprechen nicht nur Mieterverbände und SPD-Bauminister der Länder, sondern auch die Bonner SPD sowie die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Mit „Geschäftsordnungstricks“, erklärte Franziska Eichstädt-Bohlig, bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete, hätten die CDU/CSU- und FDP-Fraktionen eine Abstimmung zum Thema im Bundestag verhindert.
„Unsere Änderungsanträge sind in der vorletzten Sitzungswoche einfach von der Tagesordnung genommen worden und hatten bei der letzten, randvollen Sitzung so keine Chance“, sagte Eichstädt- Bohlig zur taz. Die Kapp-Entscheidung werde „die Mietenproblematik dramatisch beeinflussen“, da die Neuregelung Mieter von günstigem Wohnraum, einfach ausgestatteten Altbauten und ehemaligen Sozialwohnungen betreffe. Mit dem neuen Gesetz ab September entspreche die Bundesregierung dem „Mieterhöhungsverlangen der Eigentümer“ und nicht den Interessen der Mieter.
Zornig zeigte sich auch Hamburgs Bausenator Eugen Wagner. Die Bundesregierung habe die Initiative des Bundesrates im Frühjahr 1998 auf Verlängerung ignoriert. Zugleich werde durch die neue 30-Prozent-Kappungsgrenze „die Gefahr eines erheblichen Mietanstiegs verursacht und die Schutzbedürftigkeit in Ballungsräumen verhindert.“ Bei den derzeitig geringen Lohn- und Einkommenszuwächsen sei diese Regelung „nicht zu rechtfertigen“.
Eve Raatschen vom Hamburger Mieterverein erinnerte daran, daß seit 1990 die Mietkosten laut Statistischem Bundesamt um über 30 Prozent gestiegen seien, „während der Gesamtindex für die Lebenshaltungskosten im gleichen Zeitraum sich nur um 20 Prozent erhöht hat“. Sie befürchtet, daß nun „noch mehr Einkommen verschlungen wird.“ Kommentar Seite 10
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