: Giftmüllkippe England: Interpol is not amused
■ Deutsche und holländische Schmuggler entsorgen Giftmüll illegal in Großbritannien. Ein Teil der Abfälle stammt aus Chemiefabriken der ehemaligen DDR
Berlin (taz) – Deutsche und niederländische Schmuggler benutzen Großbritannien als illegale Müllkippe für giftige Industrieabfälle. Der Giftmüll wird dabei mit falschen Papieren eingeführt und im Land heimlich gelagert oder einfach auf die Straßen gekippt. Einen entsprechenden Bericht der Londoner Zeitung Independent bestätigte gestern ein Sprecher von Interpol Großbritannien gegenüber der taz als „sehr genau und zutreffend“.
Die Schmuggler nutzen die unzureichenden Kontrollen an den Häfen und bei der Strafverfolgung. Diese sind in Großbritannien nach Angaben von Interpol weniger scharf als anderswo in Europa. Die Giftmüllschieber verstecken die Abfälle in Containern und „vergessen“ diese anschließend in Ostseehäfen wie Harwich oder Felixstowe. In anderen Fällen sei flüssiger Abfall von Lastwagen mit geöffnetem Tank auf der Autobahn M 25 rund um London abgelassen worden. Die fraglichen Stoffe Tetrachlorkohlenstoff und Aceton gelten als sehr gefährlich für das Grundwasser.
Die Spur der Ermittlungen führt zumindest teilweise nach Deutschland: Nach Informationen des Independent stammt ein Teil der Stoffe aus Chemiefabriken der ehemaligen DDR. Die britische Umweltbehörde lehnte kürzlich Anträge ostdeutscher Lkw-Spediteure ab, die wiederholt versucht hatten, mit dem Pestizid DDT belastete deutsche Eisenbahnschwellen auf der Insel zu entsorgen. Greenpeace London schließlich zeigte sich auch über die legalen Einfuhren aus Deutschland besorgt, mit denen PVC-Abfälle auf die Britische Insel gelangen. Die britische Umweltbehörde und Interpol zeigten sich besorgt über die Stellung Großbritanniens als „schwaches Glied“ in der Kette der europäischen Länder bei der Kontrolle der Giftexporte.
Beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden gibt es nach Angaben seines Sprechers Dirk Büchner keine Anfragen aus London zu diesem Thema. Das Bundesumweltministerium wurde gestern von der britischen Regierung über den Fall erstmals informiert. „Großbritannien war einmal die legale Giftmüllkippe Europas“, sagte Andreas Bernstorff, Müllexperte von Greenpeace. Doch inzwischen bleibe der Müll in Deutschland, weil die Kapazitäten für die Beseitigung des Mülls nur zu 70 Prozent ausgelastet seien und die Preise sinken würden. Jährlich fallen in Deutschland 1,8 Millionen Tonnen Giftmüll an.
Für Rüdiger Hawley von der teilstaatlichen Hessischen Industriemüll GmbH ist der vorliegende Fall ein Beispiel für „dumm-dreiste“ illegale Entsorgung. Die wirkliche Auseinandersetzung finde allerdings derzeit auf europäischer Ebene zwischen der EU-Kommission und der Bundesrepublik statt: Während die EU selbst Giftmüll als frei handelbares Wirtschaftsgut betrachte und auch die Verbrennung in Zementwerken ohne Abgasfilter erlauben wolle, drängt Deutschland auf die Entsorgung der Gifte in extra dafür gebauten Anlagen. Bernhard Pötter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen