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Die humanitäre Hilfe für die Hungernden im Süden Sudans ist angelaufen. Aber die Lage verschärft sich täglich. Katastrophenhelfer sagen immer wieder, daß der Krieg eine wirkliche Verbesserung der Lebensbedingungen im Sudan nahezu unmöglich macht. Von Peter Böhm

Nur der Friede kann die Hungernden retten

Im sudanesischen Tourle herrscht John Waine zufolge „Endzeitstimmung“. Der Mitarbeiter der irischen Hilfsorganisation GOAI, die vom kenianischen Lokichokio aus Hilfslieferungen in den Süden Sudans koordiniert, berichtet, auf dem dortigen Markt gebe es nur Erdnüsse und vereinzelt wilde Beeren zu kaufen. Die Steinhäuser seien zerstört, Ämter und Schulen verwaist. Jegliches Gewerbe sei zum Erliegen gekommen. „Das einzige, was die Menschen dort im Moment noch besitzen, sind Schuhe, Matratzen und Essentaschen. Und die sind, wenn auch erstaunlich geschickt, aus den Säcken genäht, die das UN-Welternährungsprogramm (WFP) über dem Sudan abwirft.“

Das Elend im Sudan ist nicht Folge einer Naturkatastrophe, die Not ist das Ergebnis des Bürgerkriegs. Und die kleine Stadt Tourle im Nordosten der Region Bahr-el- Ghazal ist ein Musterbeispiel für das fatale Zusammenwirken von Krieg, Vertreibung und Dürre, das nach vier Jahren vor allem im Südwesten des Sudan wieder zu einer Hungerkatastrophe geführt hat. Nach Angaben der UN-Hilfsorganisation „Operation Sudan Lifeline“ (OLS), die die humanitäre Hilfe koordiniert, sind 60 Prozent aller Kinder in der Hungerprovinz Bahr-el-Ghazal unterernährt. Seit zwei Jahren habe es in der Region keine ausreichende Ernte mehr gegeben, berichtet John Waine, und die Überfälle von arabischen Milizen hätten ein übriges getan.

Die islamistische Regierung in Khartum hat seit Mitte der achtziger Jahre die im Norden siedelnden arabischen Völker systematisch mit automatischen Gewehren ausgerüstet und sie aufgestachelt, den schwarzafrikanischen christlichen Süden zu überfallen. So wurde in vielen Fällen aus einem nachbarlichen Zusammenleben, wenn auch gelegentlich Viehdiebstähle vorkamen, ein grausamer Krieg, geprägt von Zerstörung und Vertreibung.

„Nach dem letzten Angriff im Juni“, so der Mitarbeiter von GOAI, „sind die Menschen in die nahe gelegenen Sümpfe geflohen. Wir mußten zusammen mit den Behörden vor Ort dorthin gehen und sie überzeugen, wieder in die Stadt zu kommen.“ Im Augenblick ist Regenzeit in der Region Bahr- el-Ghazal, und so brauchen sich die dort siedelnden Angehörigen des Dinka-Volkes wegen der schlechten Straßenverhältnisse für einige Monate vor Angriffen nicht zu fürchten.

Aber der Regen, der für eine gute Ernte unerläßlich ist, hat, wie der Koordinator der Hilfsaktion der UNO, Musa Bungudu, in Lokichokio berichtet, auch seine negativen Seiten. Im Moment könnten einige überflutete Landebahnen im Norden Bahr-el-Ghazals nicht angeflogen und die umliegenden Regionen deshalb nur unzureichend versorgt werden.

Und der Regen kam zu spät. „80 Prozent der Saat sind nicht aufgegangen“, berichtet John Waine über die Region um Tourle, und Musa Bungudu denkt sogar schon weiter. Er sagt: „Vergessen Sie die jetzige Ernte. Wir hoffen nur noch, daß die Ernte im nächsten Jahr einigermaßen ausfällt.“

In Lokichokio, dem kleinen Nest im äußersten Nordwesten Kenias, das nur wegen der Landebahn, der Lagerhäuser und Verwaltungsgebäude der Hilfsorganisationen erwähnenswert ist, herrscht zur Zeit geschäftiges Treiben. „Bei den vielen Nahrungsmitteln, die wir schon von hier in den Sudan geflogen haben“, sagt Musa Bungudu, „hätte man erwartet, daß eine Verbesserung eintritt.“ Davon sei bisher jedoch noch nichts zu sehen, und das sei „verdächtig“. Nach Berichten der letzten Wochen, die südsudanesische Guerillabewegung „Sudanesische Volksbefreiungsfront“ (SPLA) – die bis auf einige Regierungsstützpunkte die gesamte Provinz Bahr- el-Ghazal beherrscht – hätte eine Art Steuer auf die Hilfslieferungen eingeführt, haben die Vereinten Nationen nun eine Untersuchungskommission losgeschickt, die die Situation vor Ort prüfen soll. Zwar ist bei dem Abwurf der Hilfsmittel immer ein UN- Team am Boden. Aber die Mitarbeiter sind wohl nicht immer vor Einschüchterungen der SPLA- Guerilla sicher.

Auf die Dauer, glaubt Bungudu, sei die Luftbrücke von Lokichokio in den Sudan nicht durchzuhalten. Sie koste die UNO monatlich 30 Millionen US-Dollar. Auf den Preis einer Tonne Nahrungsmittel müßten noch einmal mindestens 100 Prozent Transportkosten aufgeschlagen werden.

Die Kritik, die immer geäußert wird, wenn die Hilfsorganisationen eine große Zahl von Flüchtlingen versorgen müssen – daß sie immer nur als Helfer in letzter Not aufträten und durch den Krieg alles wieder zerstört werde –, ist natürlich nicht spurlos an Bungudu vorübergegangen. Für seine Mitarbeiter, sagt er, sei es „äußerst frustrierend“, daß trotz ihrer Anstrengungen nie eine wirklich nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen im Sudan zu erkennen sei. Und sicher müsse man auch über eine Verbesserung der Infrastruktur, der Rekonstruktion von Straßen und Wasserwegen, nachdenken. „Aber alles hängt eben davon ab, wann der Krieg im Sudan endlich aufhört.“

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Stichwort „Sudan“

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