: Erst anmelden, dann rumstreiten
Studenten mit Durchschnittseinkommen konnten sich bisher recht einfach von Rundfunkgebühren befreien lassen. Doch nun ficht der NDR reinste Bürokratieschlachten, damit Studenten nicht mehr davonkommen ■ Von Georg Löwisch
Wenn der 25jährige sich in Rage geredet hat, spuckt er Sätze aus wie ein Sprechautomat, den Lobbyisten des Privatfernsehens gefüttert haben. Die Rundfunkgebühren? „Eine Sauerei!“ ARD und ZDF? „Die ähneln ja sowieso dem Privatfernsehen immer mehr.“
Eigentlich hatte er nichts gegen ARD und ZDF, der Soziologiestudent aus Kiel. Doch inzwischen führt er mit dem NDR, der zweitgrößten ARD-Anstalt, einen Streit, den er bloß noch „pervers“ nennt. Und der vor Gericht enden könnte, weshalb er in der Zeitung auch nur den Namen Malte Naumann und nicht seinen richtigen lesen will – damit die „Harrys“ nicht hinterher etwas gegen ihn verwenden. Es geht um Rundfunkgebühren und darum, ob er als Student überhaupt welche zahlen muß.
Eigentlich ist es nicht so kompliziert. Zwar muß nach dem Gesetz jeder 9,45 Mark im Monat überweisen, der ein Radio „zum Empfang bereithält“. Wer auch noch einen Fernseher hat, zahlt 28,25 Mark. Aber manche können sich davon befreien lassen.
„Von einem GEZ-Harry überrumpelt“
Wer nicht zu zahlen braucht, definiert die Gebühreneinzugszentrale (GEZ): Personen u.a., „die Sozialhilfe beziehen oder aber ein geringes Einkommen haben (z.B. Schüler, Studenten, Arbeitslose, Rentner)“. Auch was ein „geringes Einkommen“ ist, wird in Landesverordnungen klar festgelegt: Weniger als der anderthalbfache Sozialhilfesatz (je nach Wohnort zwischen 750 und 800 Mark) plus Kaltmiete.
Bei Malte Naumann schien die Lage eindeutig. Da machte es nichts, daß er und sein Mitbewohner „von einem GEZ-Harry überrumpelt“ wurden, der vor der Tür stand und fragte, ob hier Rundfunkgeräte „bereitgehalten“ würden. Da er mit den 1.000 Mark, die er von seinen Eltern bekam, unter der Grenze lag, wurde er befreit und durfte kostenlos „Tatort“ und „Tagesschau“ gucken. Bis zum Februar des Jahres 1997. „Sehr geehrter Herr“, schrieb da der NDR. „Gemäß der gesetzlichen Unterhaltspflicht“ hätten Maltes Eltern den Unterhalt so zu „bemessen, damit der gesamte Lebensbedarf abgesichert ist“ – und dazu gehörten auch die Gebühren. Maltes Eltern sollten ihm seine 28,25 Mark mitbezahlen. Befreiung beendet. Nur weil Malte Naumann kein Bafög bekommt, sondern Geld von seinen Eltern, sollte er zahlen? „Eine Gemeinheit“, sagte er. Es folgte ein fast 20seitiger Briefwechsel mit GEZ und NDR: Ablehnungen, Widersprüche und Ablehnungen der Widersprüche.
Neue Masche: Wer Geld von Eltern kriegt, zahlt!
Malte Naumann wurde immer stinkiger: „Verwaltungsschranzen“, zischt er. Auch die GEZ wurde deutlich: „Sie haben bisher fällige Rundfunkgebühren nicht bezahlt.“ Nur wenn er sofort 198,20 Mark zahle, „vermeiden Sie Zwangsmaßnahmen wie Vollstreckung bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren“.
Beim Kieler Asta kennt man derlei Schilderungen: „Das tritt gehäuft auf“, sagt Mitarbeiter Volker Rörich. Und es „kommt sehr schlecht an, weil es ein Bruch mit der bisherigen Praxis ist“. Auch Rechtsanwalt Volker Lassen, der die Studentenvertreter berät, sagt, der NDR lehne immer häufiger Befreiungsanträge ab. Ganz egal, wieviel ein Student zum Leben hat, den Sender interessiere, wo das Geld herkommt: „Wer von seinen Eltern voll unterstützt wird, hat in aller Regel keine Chance“.
Bei der GEZ kann die Pressestelle leider keine Auskunft dazu geben: Die Gebührenzentrale habe ja „nichts mit der Erteilung von Rundfunkgebührenbefreiungen zu tun“. Immerhin hält sich beim NDR Michael Gessat, Leiter der Gebührenabteilung, für zuständig. Müssen neuerdings alle Studenten, die Geld von ihren Eltern kriegen, Gebühren zahlen? Das würde er „so pauschal nicht sagen“. Im geschilderten Fall habe der Student angegeben, daß er 1.000 Mark von den Eltern bekomme. Nach der allgemein anerkannten Düsseldorfer Unterhaltstabelle habe er aber Anspruch auf 1.050 Mark: „Er muß seinen Anspruch ausschöpfen“, sagt Gessat. Wenn er die 50 Mark mehr von seinen Eltern bekomme, könne er ja erneut einen Antrag stellen.
„Solche Argumente kennen wir nicht“
Doch wie merkwürdig: Auch wenn Malte Naumann 50 Mark mehr aus seinen Eltern herausholte, hätte er Anspruch auf kostenloses Fernsehgucken. Dann würde er nämlich immer noch unter die Einkommensgrenze fallen: 1.050 Mark plus Krankenversicherung macht 1.142 Mark Einkommen. Die Grenze (eineinhalbmal Sozialhilfesatz plus Maltes Miete) liegt aber bei 1.150,50 Mark.
„Das ist doch Unsinn“, meint Anwalt Frank Markus Döring aus Schleswig. Er berät öfter Studenten mit Gebührenproblemen. Dabei falle auf, daß der NDR häufig seine Argumente ändere: „Da herrscht Verzweiflung, weil sie wissen, daß sie rechtswidrig handeln“. Ob es anderswo Studenten ähnlich schwer haben? Wenn man Mitarbeitern beim Bayerischen Rundfunk oder den zuständigen Ämtern in NRW und Berlin aus den Ablehnungsbescheiden des NDR vorliest, reagieren sie verwundert: Solche Argumente hätten sie noch nie gehört. Bei anderen ARD-Sendern ist es verwirrend: Der Zuständige beim Südwestfunk will beispielsweise erst einmal genaue Fragen gefaxt bekommen. Statt ihm ruft dann unaufgefordert Michael Gerhardt an. Der ist Gebührenchef bei Radio Bremen, und weil sein Sender in der ARD für solche Fragen zuständig sei, will er antworten: „Zur Vermeidung von Mehrfacharbeit.“ Freilich könnten die Fragen „nicht so konkret beantwortet werden, wie sie gestellt worden sind“. Gibt es Unterschiede zwischen Studenten, die Bafög bekommen und solchen, die Geld von den Eltern kriegen? Grundsätzlich nicht. Allerdings: Sage ein Student „lapidar und unbeziffert“, er werde voll von den Eltern unterstützt, heiße das „natürlich“, daß er nicht bedürftig sei.
Nun könnte man ja auf die Idee kommen, Studenten ohne große Bürokratie zu befreien. Dann würden sie zwar einige Jahre nicht zahlen, wären aber immerhin schon mal bei der GEZ angemeldet und würden nach dem Studium nicht schwarz gucken und das öffentliche Fernsehen ablehnen. „Schon seit 20 Jahren“ hätten sich die Regeln so bewährt, entgegnet Radio Bremen-Mann Gerhardt. Daß sich einzelne ungerecht behandelt fühlten, liege „im Verwaltungsmassenverfahren begründet“. Solange sich nichts ändert, meint der Kieler Anwalt Lassen: „Ich empfehle durchgängig: Leute, klagt!“ Doch bisher hätten alle das Risiko gescheut oder sich im Examen nicht belasten wollen. Auch Malte Naumann konnte sich noch nicht zur Klage entschließen. Dafür hat er der GEZ mitgeteilt, er habe sowieso keinen Fernseher mehr, sondern nur ein Radio. Und daß der NDR bei Befreiungen Probleme macht, habe sich unter Studenten inzwischen herumgesprochen, sagt der 25jährige: „Die sehen dann lieber schwarz.“
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