: Kurzer Schreck an den internationalen Börsen
■ Die deutsche Wirtschaft hat wenig zu befürchten: Der abgewertete Rubel verbilligt die Lieferung von Gas und Öl, Hermesbürgschaften sichern die Kredite der deutschen Banken ab
Berlin (taz) – Die Schrecksekunde dauerte etwa drei Stunden. Nachdem die Freigabe des Rubelkurses bekannt wurde, krachten die Aktienkurse auf den internationalen Börsen nach unten, und die D-Mark verlor gegenüber dem US-Dollar kräftig an Wert. Dann faßten sich die Börsianer zumindest in Deutschland wieder leidlich. Der Aktienindex Dax holte den größten Teil seiner Verluste – im ersten Schreck ergab sich ein Minus von über 100 Punkten – im Tagesverlauf wieder auf.
Vor allem die Aktien der deutschen Banken zählten mit Kursverlusten von über drei Prozent dennoch zu den Verlierern. Analysten halten die Reaktion für übertrieben, auch wenn die Banken die größten Gläubiger Rußlands sind – allein die Deutsche Bank hat noch Forderungen von 54 Milliarden Mark offen. Schließlich hätten die Banken ja bereits mehr als die Hälfte ihrer Rußlandkredite abgeschrieben, was nebenbei steuermindernd wirkt. Überdies seien die deutschen Kredite an Rußland zum allergrößten Teil über die staatliche Hermes-Versicherung abgedeckt. Probleme würde demnach allenfalls Finanzminister Theo Waigel bekommen. Die Banken bräuchten sich hingegen keine Sorgen zu machen. Die deutsche Wirtschaft insgesamt dürfte kaum von der russischen Finanzkrise betroffen sein, schätzt Weltwirtschaftsexperte Wolfram Schrettl vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Lediglich 1,8 Prozent der deutschen Exporte gehen nach Rußland. Selbst wenn diese Zahl sich noch weiter verringern sollte, sei das allenfalls für einzelne kleinere Unternehmen ein ernstes Problem. Umgekehrt aber nütze die Rubelabwertung der deutschen Wirtschaft: Die Lieferungen von Öl und Gas werden billiger.
„Für die Weltwirtschaft bedeutet die russische Finanzkrise wenig“, meint Schrettl lapidar. Das eigentliche Problem sei das gleiche, das auch die russische Not herbeigeführt habe: die Krise in Asien. „Daß Rußland vor Japan aus der Krise herauskommt, ist unwahrscheinlich“ – und diese Aussicht stimmt den Wirtschaftsforscher alles andere als optimistisch.
In Asien jedenfalls haben die Investoren ganz offenkundige Furcht vor einer neuen Abwertungsspirale, die durch eine Rubel-Abwertung in Gang gesetzt werden könnte. Dort schlossen sämtliche Börsen mit deutlichen Verlusten. Nicola Liebert
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