piwik no script img

Mehr Spiel im Rubel-Korridor

Die russische Währung kann nun um die Hälfte abgewertet werden. Banken stehen vor dem Bankrott, viele Filialen waren gestern bereits geschlossen  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

In Moskau herrschte gestern eine Sprachlosigkeit wie nach der Tat eines erfolgreichen Selbstmörders, der wochenlang von seinem Vorhaben geredet hatte, bis ihm niemand mehr zuhören wollte. Die über Monate hinweg diskutierte, aber von der russischen Regierung immer verneinte Rubel-Abwertung wurde plötzlich zur Realität.

Wie Ministerpräsident Kirijenko auf einer Pressekonferenz erklärte, bleibt der Rubel zwar in einen Korridor eingebunden, aber dieser befindet sich schon in einem ganz anderen politischen und finanziellen Raum als dem bisherigen. Zwischen sechs und 9,5 Rubeln soll bis Jahresende ein Dollar in Rußland kosten dürfen. Damit wird eine Entwertung um mehr als die Hälfte sehr wahrscheinlich. Von einem panikartigen Wechselkursverfall an der Moskauer Börse konnte allerdings gestern noch nicht die Rede sein. Der Dollar kostete dort am Montag 6 Rubel und 43 Kopeken.

Daß die meisten in- und ausländischen Finanzleute und Banker trotzdem an diesem Tage der Presse gegenüber stumm blieben, lag an einem Paket von flankierenden Maßnahmen. Besonders wichtig für die ausländischen Investoren und Banken: Um die letzten Reserven an ausländischer Währung im Lande zu halten, setzte die russische Regierung ein dreimonatiges Moratorium für die Rückzahlung von ausländischen Krediten an. Kirijenko erklärte ausdrücklich, daß die Regierung ihre eigenen Schuldrückzahlungen davon ausnähme. Für wen es aber sonst gelten soll, war gestern niemandem so recht klar.

Die Deutsche Bank hat jedenfalls schon eine Reserve in Höhe von 60 Prozent ihrer Außenstände bei russischen Banken gebildet. Ihre Sprecher enthielten sich ansonsten aller Kommentare und warteten ab.

Besorgnis erweckten eher die zunehmenden Anzeichen für einen Zusammenbruch des Banksystems. Die russischen Finanzinstitute haben gestern ihre Arbeit praktisch eingestellt, in vielen Filialen blieben die Schalter geschlossen. Auf ausländische Kreditkarten wurde keinerlei Bargeld ausgezahlt, Dollars konnten auch mit den eigenen Karten der russischen Banken nicht mehr abgehoben werden.

Da die Kapitalbildung und die Kredite der russischen Banken untereinander auf den nunmehr kraß abgewerteten Staatsobligationen, sogenannten T-Bills, beruhen, stehen viele Banken vor dem Bankrott. Gestern verschob die russische Regierung die Rückkauffrist für bis Jahresende fällige Staatsobligationen. Am Wochenende hatte die Zentralbank zwei großen Geldinstituten, der SBS-Agro und der Inkombank, Stützkredite überweisen müssen. Gestern nachmittag stellten sich zwölf der größten Geldinstitute des Landes in einer gemeinsamen Erklärung hinter die Maßnahmen.

Während Sprecher der kommunistischen Duma-Fraktion die Rubel-Entwertung als „Anfang vom Ende“ bezeichneten, nannten Ex- Ministerpräsident Tschernomyrdin und Ex-Vize-Premier Tschubais sie „unvermeidlich“. Mit der Rückkehr der beiden auf hohe Regierungsposten ist zu rechnen, falls – wie in in Moskau schon gemunkelt wird – nach dem Rubelkurs auch Wirtschaftsminister Urinson und Finanzminister Sadornow abstürzen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen