: Grüne und Chefankläger auf Schmusekurs
■ Überraschend große Übereinstimmung ergab eine Diskussion über rot-grüne Reformprojekte mit Generalstaatsanwalt Karge und Polizei-Gewerkschafter Detlef Rieffenstahl. Doch trotz aller Harmonie blieben
„Da ist kein Punkt, wo man sich als Staatsanwalt noch echauffieren könnte“, lautete die überraschende Antwort von Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge vom Landgericht auf die grünen Vorstellungen zu Polizei- und Justizpolitik. Zu einer Debatte über mögliche Reformprojekte eines rot-grünen Senats hatten die Abgeordneten Wolfgang Wieland und Renate Künast am Montag abend neben SPD-Mitglied Karge den stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Detlef Rieffenstahl, eingeladen. Auch das liberale CDU- Mitglied pflichtete den Grünen bei: „Vieles, was in dem grünen Reformprogramm steht, können wir unterschreiben.“
Für Karge, den Leiter der größten deutschen Ermittlungsbehörde, war die Teilnahme an einer grünen Veranstaltung eine Premiere. Sein Auftritt werde in der stets um politische Unabhängigkeit bedachten Justiz allerdings „nicht gern gesehen“ und „nicht verstanden“. Karge, sonst nicht um markige Worte verlegen, zeigte sich launig: „Es ist mir peinlich, aber wir stimmen überein“, scherzte er.
Von Übereinstimmung war im Juni vergangenen Jahres noch keine Rede. Damals hatte Renate Künast neben der Vereinigung der Strafverteidiger den Rücktritt Karges gefordert, nachdem er in einem Zeitungsinterview den „Sachverständigenzirkus“ am Gericht abgelehnt und die Justiz mit Fußball verglichen hatte („Objektive Regelverstöße müssen zu Sanktionen führen. Das ist überall so, von den primitivsten Buschnegern bis zu den Tieren.“). Doch am Montag abend war er mit Renate Künast einer Meinung, daß die Justiz überlastet und nicht in der Lage sei, Recht durchzusetzen.
Nur über eine Abhilfe wurden sich die beiden nicht einig. Der grüne Vorschlag, auf die Verfolgung von Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl zu verzichten und damit mehr Kapazitäten für die Verfolgung von schweren Verbrechen zu schaffen, stieß bei Karge auf Skepsis. Dafür müsse das Strafrecht geändert werden. Sonst sei der Verzicht auf Strafverfolgung ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip.
Karge räumte ein, daß Berlin beim Täter-Opfer-Ausgleich eher das Schlußlicht bilde. Den Nebeneffekt, daß sich mit einer direkten Aussöhnung von Täter und Opfer in bestimmten Fällen auch Gerichtsprozesse vermeiden lassen, sah er wohl. Aber er zeigte sich wenig optimistisch, daß die Staatsanwälte, die „wie der Hamster im Rad“ Fälle abarbeiteten, dieses Instrument stärker nutzen werden. Als Streitpunkte blieben: Karge lehnt „Druckräume“ für Drogenabhängige, die drei Bezirke einrichten möchten, kategorisch ab. Er habe noch nie verstanden, warum Drogenabhängige nicht als Kranke, sondern als Kriminelle gelten. Als Staatsanwalt fühle er sich „mißbraucht“, Schwerkranke zu verfolgen. Seiner Idee, Junkies eine „Zwangstherapie“ zu verordnen, widersprach Künast allerdings vehement.
GdP-Vertreter Rieffenstahl lobte die starke Betonung von Prävention im grünen Programm. Auch die GdP sei der Ansicht, daß jede Mark für Jugendprojekte sinnvoll sei. Einige Streitpunkte blieben auch hier: Einen Polizeibeauftragten als unabhängige Anlaufstelle bei Übergriffen von Polizeibeamten lehnte Rieffenstahl ebenso ab wie die Kennzeichnung von Polizisten mit Namensschildern. Dennoch versicherte er: „Wir wollen die bessere Polizei. Da sitzen wir im selben Boot.“ Dorothee Winden
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