Cream of Crime: Abschied von der Mafia
■ Wie Buddies von früher auf verschiedene Seiten geraten. Krimis über Polizei und Gesellschaft
1971 explodierte im New York Police Department ein Korruptionsskandal, dessen Nachbeben noch heute zu spüren sind. Im NYPD gab es damals eine Elitetruppe namens Special Investigating Unit, die SIU. Hochqualifizierte Beamte sollten, möglichst ohne bürokratische Behinderungen, gegen neue Strukturen des Drogenhandels vorgehen. Die SIU konnte schnell schöne Erfolge vorweisen, ihr Prestige wuchs, jeder Mitarbeiter war bald ein kleiner „Prince of the City“: anscheinend allmächtig, wohlhabend und unglaublich erfolgreich.
Die Methoden der SIU waren nicht unbedingt ein Muster an Legalität. Als einer der regelmäßig in New York eingesetzten Antikorruptionsausschüsse einigen jungen Staatsanwälten die Chance zu steilen politischen Karrieren gab, nahmen sie sich die SIU vor. Sie pickten einen Detective heraus, dem man ein paar kleinere Unregelmäßigkeiten nachweisen und den man mit schönen Worten zu Aussagen über die notorische Korruption im NYPD manipulieren konnte. Als er schon viel zu eng mit den Staatsanwälten kooperiert und sich selbst schwer belastet hatte, war es zu spät. Er mußte, um seine Existenz und die seiner Familie zu schützen, immer mehr Kollegen und Freunde belasten. Sein Name war Robert Leuci.
Leuci ließ sie alle hochgehen – auch korrupte Staatsanwälte, Anwälte und Richter, aber eben hauptsächlich seine Freunde, seine Kollegen in einem Beruf, bei dem Vertrauen innerhalb einer Einheit überlebenswichtig ist. Sidney Lumet machte aus der Geschichte von Leuci den berühmten Film „The Prince of the City“, die TV-Serie „Serpico“ wurde sehr frei nach Leuci konzipiert. Andere profitierten, Leuci schied 1981 endgültig, als „Verräter“ gebrandmarkt, aus dem Polizeidienst aus und beschloß, die Implikationen dieser Affäre öffentlich zu machen: Er wurde ein ernst zu nehmender Schriftsteller. Seine beiden Schlüsselromane zum Thema, „Doyles Disciples“ und „Captain Butterfly“, sind Reflexionen über die Schieflage von öffentlicher und individueller Moral, über das Verhältnis von Polizei und Gesellschaft, über Loyalität und Verrat.
„Abtrünnige“ nimmt dieses Leitmotiv wieder auf: Drei junge Männer aus Queens hängen zusammen wie Pech und Schwefel. In den fröhlichen 60ern sind sie Buddies, in den bösen 80ern stehen sie auf verschiedenen Seiten, weil sie ihren Vätern gefolgt sind. Der eine ist ein mittlerer Mafiaboß, die anderen beiden bei der Polizei, und einer davon auf verwickelte Weise korrupt.
Wie verästelt und kompliziert eine solche Gemengelage aus Freundschaft, Loyalität, professionellen Sachzwängen und der Unfähigkeit, wirklich miteinander zu reden, sein kann, legt Leuci Schicht für Schicht frei. Erschwerend hinzu kommt, daß sich „gut“ und „böse“ nicht in „Mafia“ und „Polizei“ übersetzen lassen, weil sich beider Wertesysteme, inklusive Machismo, erheblich überlappen. Deswegen ist „Abtrünnige“ auch ein melancholischer Abgesang auf die „gute alte“ Mafia, die zunehmend auseinanderfällt. Typen wie der Killergnom Karl Marx Syracuse sind im Monstrositätenkabinett gelandet, das organisierte Verbrechen sieht heute anders aus. Die alten Cosa- Nostra-Leute und ihre lieben Feinde, die Cops, liefern sich ein letztes Shoot-Out, die Global Players sind längst im Hintergrund aufmarschiert. Leucis Roman beschwört diese Zeiten noch einmal herauf, roh, fluchend, spuckend und kunstvoll nostalgisch. Ein Roman to end all mafia novels.
PS: Wie's der Zufall will, erscheint zum Thema gerade ein wunderbar gemachter Geniestreich. Das Mafiafamilienalbum: „La Grande Famiglia“ – ein Foto- Comic-Band von Thomas Ott, Gila und Daniel Affolter. Die ironische chronique scandaleuse der abgehalfterten Mafiasippe La Lupara, mit kurzen, komischen Lebensläufen, die allesamt schnurstracks zum Tod führen, collagiert aus Fotos und Otts grandiosen Zeichnungen. Ein Büchlein zum Verlieben. Thomas Wörtche
Bob Leuci: „Abtrünnige“. Roman. (Fence Jumpers, 1995) Dt. von Jürgen Bürger. Haffmans Verlag, Zürich 1998. 509 Seiten, 19,90DM
Thomas Ott, Gila & Daniel Affolter: „La Grande Famiglia“. Paris 1998. Vertrieb über Edition Moderne, Zürich 1998, 39DM
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