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Crescendo beim Streichkonzert

Obwohl sie das billigste Orchester sind, will der Kultursenator die Symphoniker auflösen. Montag entscheidet sich, ob die Solidarität der übrigen Ensembles sie retten kann  ■ Von Ralph Bollmann

Wirklich erholen konnte sich Jochen Thärichen in diesem Sommerurlaub nicht. Einen Akku nach dem anderen telefonierte der Intendant der Berliner Symphoniker auf seinem Handy leer, um auch aus den Ferien ruhelos gegen die drohende Schließung seines Orchesters anzukämpfen. „Das ist reine Erpressung“, schimpfte er in den Äther, „ein richtiger Skandal.“

Wieder einmal stehen die Symphoniker am Rand der Auflösung. Im Haushalt für das kommende Jahr ist keine müde Mark mehr für sie eingeplant. Am Montag wird sich zeigen, ob es den anderen Orchestern gelingt, in einer solidarischen Rettungsaktion die nötigen sechs Millionen Mark pro Jahr aufzubringen. Noch einmal wollen Kulturverwaltung und Musikergewerkschaft, die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), über den entsprechenden Tarifvertrag verhandeln – der eigentlich mit Staatssekretär Lutz von Pufendorf im Frühjahr schon ausgehandelt war: Ein vorläufiger Stellenstopp sollte durch flexiblere Dienstpläne und unbezahlte gegenseitige Aushilfen ausgeglichen werden.

Doch im Juli verkündete Kultursenator Peter Radunski (CDU) plötzlich, seine Verwaltung habe noch einmal nachgerecht – und festgestellt, daß der ausgehandelte Tarifvertrag die geforderten Einsparung weit verfehle. Der DOV warf er vor, sie beziehe längst beschlossene Sparmaßnahmen in ihre Rechnung ein. Die Musikergewerkschaft macht dem Senator nun den Vorwurf, er habe einen Teil ihres Solidarbeitrags bereits im Haushalt verschwinden lassen und fordere immer neue Opfer.

„Der Senator spielt mit der Angst der Orchester“, sagt Thärichen, „wenn wir fallen, kommt vielleicht als nächstes ein anderes Orchester dran.“ Nicht umsonst greifen die Feuilletons, wenn es um die Berliner Orchester geht, gern zum Bild der Haydnschen Abschiedssinfonie, in der ein Musiker nach dem anderen die Bühne verläßt. Daher ist es nicht pure Nächstenliebe, die die anderen Orchester zur Solidarität mit den Symphonikern treibt. Eher schon das Bedürfnis, sich ein Puffer gegen den eigenen Orchestertod zu bewahren, falls der Senator wieder einmal die Instrumente zeigt. Damit hat Radunski in jedem Fall erreicht, was er wollte. Ohne Schließungsdrohung, gibt sein Sprecher zu verstehen, „hätten sich die Orchester nicht bewegt“.

Mit wachsendem Abstand von der Todeszone freilich sinkt das Mitgefühl. Die Berliner Philharmoniker können den Streit von ihrem Logenplatz gelassen beobachten. Die ganze Diskussion sei „verlogen“, diagnostiziert Elmar Weingarten, Intendant der Philharmoniker, in der Pose des außenstehenden Analytikers. Nicht die vielbeschworene Jugendarbeit der Symphoniker sei das Thema, auch nicht eine Aushilfsregelung, die ohnehin „für ein großes Orchester kein Arbeitsgrundlage sein kann“. Die Politik müsse sich klar entscheiden, so Weingarten, ob sie die Symphoniker samt Publikum und Repertoire halten wolle oder nicht.

Die Sorgen der Philharmoniker bewegen sich in anderen Sphären. Nachdem Chefdirigent Claudio Abbado seinen Amtsverzicht für das Jahr 2002 angekündigt hat, müssen die Mitglieder der Orchesterrepublik einen Nachfolger wählen. Die Last der Verantwortung plagt Weingarten jeden Morgen, wenn er auf dem Weg in sein Büro die Fotos früherer Philharmoniker-Dirigenten passiert. „Eine einschüchternd große Aufgabe“, glaubt er, der keine fünf lebenden Dirigenten gewachsen wären. Anders als die Orchestermusikern, bei denen das Niveau – allerdings um den Preis einer gewissen Eintönigkeit – in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen ist, würden die Dirigenten heute zu früh „verheizt“. Namen möglicher Kandidaten will Weingarten noch nicht nennen, erst müßten sich die Musiker auf Kriterien verständigen. Die Zeit der charismatischen Orchesterdompteure ist ohnehin vorbei: Schon Abbado galt vielen als zu nüchtern, wortkarg, emotionslos. In den letzten Jahren, nörgelten Kritiker, sei die Perfektion der Philharmoniker bisweilen in Langeweile umgeschlagen.

Während sich die Philharmoniker in aller Ruhe ihrer Verantwortung vor der Musikgeschichte stellen können, geraten solche Personalien bei anderen Orchestern leicht zur Existenzfrage. Schon längst hat sich das Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) auf Eliahu Inbal als neuen Chefdirigenten festgelegt, doch das grüne Licht aus der Kulturverwaltung steht noch aus – vor allem deshalb, weil Radunski das BSO eigentlich durch eine Fusion mit dem Orchester der Komischen Oper abwickeln wollte. Das hätte auch die 100 Konzerttermine des BSO für jene „repräsentativen Zwecke“ freigemacht, denen das Schauspielhaus – so der Wille des Senators – nach dem Regierungsumzug vermehrt dienen soll. Doch inzwischen redet von der Fusion niemand mehr. Doch Radunski ließ sich wohl weniger von dem Argument des BSO-Intendanten Frank Schneider überzeugen, 16.000 BSO- Abonnenten seien auch 16.000 Wählerstimmen. Eher schon haben den Senator die Sparbeiträge beeindruckt, die Schneider unter dem Druck der drohenden Fusion akzeptierte. Unterdessen versuchen die Kulturschaffenden, die Politiker ihrerseits mit Drohungen zu beeindrucken. Orchester, sagt Schneider, seien „ruhe- und sicherheitsstiftende Inseln in der Gesellschaft“, die der „Affektberuhigung“ dienten. „Was“, fragt er mit bedrohlichem Unterton, „würden unsere 16.000 Abonnenten sonst machen?“ Randalieren, das müßte wohl auch Schneider angesichts der Altersstruktur zugeben, eher nicht – aber vielleicht zumindest die PDS wählen.

Daß die Symphoniker ein „sehr soziales Orchester“ seien, sagt Symphonikerintendant Thärichen ein bißchen laut in Zeiten, in denen Kulturpolitiker gerade keine Sozialpolitik mehr betreiben wollen. Er redet von Schulkonzerten, Jugendkonzerten, Seniorenkonzerten in den Bezirken, öffentlichen Generalproben im Weddinger Max-Beckmann-Saal. „Wir gehen in den Kiez“, sagt er stolz – doch das ist nicht die Sprache, die der auf kulturelle „Leuchttürme“ als Tourismusfaktor spekulierende Kultursenator versteht. Mehr Wirkung verspricht da schon Thärichens Hinweis, seine Symphoniker seien auf ihrer jüngsten Tournee nach Amerika und England bisweilen mit Daniel Barenboims Staatskapelle verglichen worden – und hätten besser abgeschnitten.

Das hilft den Symphonikern freilich wenig. Während sie um ihre blanke Existenz ringen, hat Barenboim mit der Chuzpe des Prominenten und Erfolgreichen eine bessere Bezahlung seiner Staatskapelle durchgesetzt. Wer dafür bezahlen muß, ist dem Staatsopernchef durchaus bewußt: Wenn „die Mittel für eine adäquate Finanzausstattung“ aller Orchester „nicht bereitgestellt werden“ könnten, mache dies „unter Umständen auch schmerzliche oder unpopuläre Entscheidungen“ nötig, hatte Barenboim erklärt. Das enorm gestiegene Renommee seiner Staatskapelle jedenfalls müsse „sieben Jahre nach der Überwindung der deutschen Teilung“ endlich „in der finanziellen Honorierung seine Entsprechung finden“.

Manchmal ist es eben doch erhellend, wenn man die Dinge nüchtern aus der Vogelperspektive betrachten kann. „In der Politik“, sagt Philharmoniker-Intendant Weingarten, „gibt es für alles Geld, was man haben will.“

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