piwik no script img

"Das Abendland wird nicht untergehen"

■ Bricht Mecklenburg-Vorpommern nach den Landtagswahlen das Tabu und bildet die erste Regierung mit PDS-Beteiligung? Helmut Holter, PDS-Chef in Mecklenburg-Vorpommern, über das Koalitionsangebot an die

taz: Geht es um die Macht, sagt der PDS-Wahlkampfstratege Andre Brie, kommt die SPD von ganz allein zur PDS. Jetzt gehen erst einmal Sie zur SPD – und unterbreiten ein offizielles Angebot zur Bildung einer Koalition in Mecklenburg-Vorpommern. Sind Sie so scharf aufs Regieren?

Helmut Holter: Wir wollen einen Politikwechsel im Land, und der ist nicht mit der CDU, sondern nur mit der PDS zu machen. Die PDS hat der SPD dafür aber kein Koalitionsangebot unterbreitet, sondern ein Angebot für eine gemeinsame Politik nach den Landtagswahlen – das kann auf eine Koalition hinauslaufen oder auf die Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung.

Sie selbst haben Ihr Ziel klarer formuliert: Sie sind in Schwerin für eine Koalition von SPD und PDS.

Für mich ist eine Koalition konsequenter als die Tolerierung einer SPD-Regierung. Zwei Drittel der Menschen in Ostdeutschland stehen einer Regierungsbeteiligung oder Tolerierung durch die PDS aufgeschlossen gegenüber. Wir sind eine der drei großen Parteien im Osten, in Mecklenburg-Vorpommern wollen wir 25 Prozent der Stimmen gewinnen – da können wir nicht auf Dauer in der Opposition bleiben.

Mit ihrem Koalitionsangebot ist die PDS zum ersten Mal von sich aus in die Offensive gegangen. Wollen Sie nicht mehr warten, bis Sie die SPD zur Zusammenarbeit einlädt?

Wir müssen jetzt von uns auf eine Zusammenarbeit drängen. Im Gegensatz zu Sachsen-Anhalt werden wir uns in Schwerin nicht ohne eine schriftlich fixierte Vereinbarung auf die SPD einlassen, ganz gleich, ob es eine Tolerierung oder eine Koalition gibt.

Die CDU in Mecklenburg-Vorpommern hat für Ihr Vorgehen eine einfache Erklärung: Die SED-Erben wollen wieder an die Macht.

Mich auf diesem Niveau auseinanderzusetzen ist mir zu billig. Die PDS hat in den vergangenen acht Jahren einen Erneuerungsprozeß durchgemacht. Wir haben uns mit unserer eigenen Geschichte auseinandergesetzt, und wir haben hier in Mecklenburg-Vorpommern aus der Oppositionsrolle heraus an politischem Profil gewonnen. Wir stellen in unserem Bundesland 75 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Die Ergebnisse dieser Arbeit packen wir jetzt auf den Tisch. Daß dies für die CDU eine Katastrophe ist, kann ich mir angesichts ihrer desolaten Lage in der großen Koalition lebhaft vorstellen.

Gibt es bereits Reaktionen der SPD auf Ihr Angebot zur Zusammenarbeit?

Nein.

Sind Sie sicher, daß die SPD nach der Landtagswahl am 27. September auf die PDS zugeht?

Bei einem entsprechenden Ergebnis – ohne Zweifel.

Und welche Bedingungen wird die PDS dann für eine Koalition stellen?

Wir akzeptieren keine ideologischen Vorbedingungen hinsichtlich des Charakters der PDS. 1994 haben wir von der SPD ein Papier erhalten, in dem sie „vier notwendige Klarstellungen“ als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit gefordert hat. Die PDS sollte ihr Verhältnis zum Grundgesetz und zur Landesverfassung klären, sich von der Kommunistischen Plattform trennen und die Vereinigung von SPD und KPD 1946 als „Zwangsvereinigung“ anerkennen. Unsere Antworten damals reichten der SPD nicht aus. Wenn die Sozialdemokraten jetzt wieder so anfangen, werden mögliche Verhandlungen mit Sicherheit scheitern. Den Entwicklungsstand der PDS zeigt nicht zuletzt unser Brief an Richard von Weizsäcker. Den sollte die SPD zur Kenntnis nehmen.

Welche inhaltlichen Mindestanforderungen stellt die PDS an eine Zusammenarbeit mit der SPD?

Wir verlangen die Gründung eines staatlich finanzierten Beschäftigungssektors, der 5.000 neue Arbeitsplätze bereitstellen soll. Für Schulabgänger fordern wir einen Rechtsanspruch auf berufliche Erstausbildung und nach der Ausbildung eine mindestens einjährige Beschäftigungsgarantie. Bis zum Jahr 2002 soll die Zahl der Arbeitslosen um mindestens zehn Prozent gesenkt werden. Außerdem wollen wir einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung durchsetzen. Jedes Kind bis zum zehnten Lebensjahr soll davon profitieren können.

Das klingt nach umfassender staatlicher Fürsorglichkeit – wie zu DDR-Zeiten.

Das mag ja so klingen, aber Fakt ist, daß die soziale Lage in Mecklenburg-Vorpommern schlecht ist. Wir haben eine Arbeitslosigkeit von knapp 20 Prozent. In diesem Jahr sind noch 10.000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Die Betreuung von Kindern ist nicht umfassend gesichert. Da helfen keine Appelle, da ist der Staat gefragt. Wenn das an DDR erinnert, dann stört mich das nicht.

Haben Sie keine Angst vorm Regieren? Viele in der PDS tragen diesen Kurs nicht mit, es könnte die Partei zerreißen.

Das glaube ich nicht. Wir können nicht immer nur alles fordern und dann die Möglichkeit scheuen, wenn es um die politische Durchsetzung dieser Forderungen geht. Das sehen viele in der PDS genauso. Natürlich gilt auch: Die PDS darf nie ihre außerparlamentarische Arbeit vernachlässigen.

Sie wollen in der Regierung weiter Opposition spielen?

Wir verstehen uns in jedem Fall als gesellschaftliche Opposition. Als sozialistische Partei werden wir unseren antikapitalistischen Charakter bewahren.

An diesem Spagat sind schon ganz andere gescheitert.

Warten wir's ab.

Wäre die erste Regierungsbeteiligung der PDS ein Tabubruch?

Ja. Damit würde über Mecklenburg-Vorpommern hinaus deutlich werden, daß in Deutschland europäische Normalität einzieht. In Frankreich ist sogar die Kommunistische Partei in der Regierung, und da geht das Abendland auch nicht unter. Interview: Jens König

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen