: Auf der Suche nach der Terrorgruppe
■ In Göttingen soll ein Student eine terroristische Vereinigung gebildet haben. Die Konstruktion des Verdachts weckt aber Zweifel
Berlin (taz) – Geschaffen während der Hochphase der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) in den siebziger Jahren, soll der Paragraph 129a des Strafgesetzbuchs den Kampf gegen „terroristische Vereinigungen“ ermöglichen. Daß es zur Anwendung dieses Paragraphen anscheinend jedoch gar nicht unbedingt der Existenz einer „Vereinigung“ bedarf, mußte jetzt ein 30jähriger Göttinger erfahren. In der vergangenen Woche durchsuchten Beamte von niedersächsischem Landeskriminalamt (LKA) und Karlsruher Generalbundesanwaltschaft seine Wohnung und seinen Arbeitsplatz und beschlagnahmten alles, was sie als belastend ansahen – private Dokumente genauso wie Gefrierbeutel. Der Grund: Dem Mann, der seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte, wird die Beteiligung an drei politisch motivierten Brandanschlägen in Göttingen seit 1995 vorgeworfen. Und auch wenn die Bekennerschreiben seinerzeit jeweils verschiedene Absender trugen und auch wenn der Beschuldigte als Einzelperson nur schwer eine Gruppe sein kann, wird nach Paragraph 129a ermittelt: „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ lautet der Vorwurf – als Höchststrafe drohen zehn Jahre Gefängnis. Der „Vereinigung“, die er gebildet haben soll, gehören bislang nur Unbekannte an. Außer ihm bestehe sie aus „mindestens zwei weiteren Personen“, formuliert der Durchsuchungsbescheid. Gegen sie (das heißt: gegen „Unbekannt“) werde ebenfalls ermittelt – ab drei Personen nämlich ist die Anwendung des 129a möglich. Es gebe Hinweise, daß „mehrere Personen an den Anschlägen beteiligt waren“, sagte eine Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft auf Nachfrage der taz. Konkretisieren wollte sie das nicht. Gegenüber dem Göttinger Tageblatt hatte sie das Vorgehen noch markiger gerechtfertigt: Irgendwo müsse man halt anfangen.
In einem längst eingestellten Verfahren war dem Verdächtigen vor einigen Monaten vorgeworfen worden, er sei Mitarbeiter der Göttinger Drucksache, einem wöchentlichen, anonym erscheinenden Stadtinfo, das einen „Aufruf zu Straftaten“ im Zusammenhang mit Castor-Transporten enthalten haben sollte. Wie das Göttinger Autonome Infobüro mitteilte, griff der Durchsuchungsbeschluß jetzt diesen alten Verdacht wieder auf. In dem Beschluß hieß es, die Göttinger Drucksache sei die einzige Göttinger alternative Publikation, die sich „mit der Thematik Sozialabbau und Arbeitslosigkeit intensiv befaßt“. Weil sich der schwerste der Anschläge vom November 1997 (mit einem Sachschaden von einer halben Million Mark) gegen das Göttinger Arbeitsamt gerichtet hatte, sei hier ein Zusammenhang anzunehmen.
Darüber hinaus soll in einem Bekennerschreiben eine Passage wortgetreu aus der österreichischen Tageszeitung Der Standard zitiert worden sein. Das einzige Abo des Standard in Göttingen aber, so fanden die Ermittler heraus, besitzt der Arbeitgeber des Verdächtigen, ein Presseausschnittdienst. Daß das Zitat aus einer Freitagsausgabe kam, genannter Ausschnittdienst jedoch (neben 180 weiteren Publikationen) nur die Samstagsausgabe bezieht, daß der Standard am Kiosk erworben werden kann und auch über das Internet frei verfügbar ist – all das brachte die Generalbundesanwaltschaft nicht von ihrer Fährte ab. Trotzdem scheint sie sich ihrer Sache selbst nicht ganz sicher zu sein, denn auf eine Festnahme des Verdächtigen wurde bislang verzichtet. Für den ist das kein Wunder: „Ich kann mir diese Konstruktionen nur mit dem Erfolgsdruck erklären, unter dem der Staatsschutz steht“, sagte er der taz, „denn das Ganze ist einfach absurd.“ Joachim F. Tornau
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