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Von „Pinschern“ zur intellektuellen Hilfstruppe

■ In den 60er Jahren gelang es Willy Brandt als erstem, eine Reihe von Künstlern, Schriftstellern, Musikern und sonstigen Kulturschaffenden für seine politischen Ziele zu gewinnen

Solches hatte man in Deutschland noch nie gesehen – eine Phalanx bedeutender Schriftsteller, Schauspieler, Musiker, Dichter und Intellektueller als Hilfstruppe eines sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten. Die ganze erste Jahrhunderthälfte lang hatte das Gros der deutschen Geistes- und Kulturgrößen entweder rechts gestanden oder im sicheren Hafen machtgeschützter Innerlichkeit angedockt. Das änderte sich in den 60er Jahren und war fast ausschließlich das Verdienst Willy Brandts.

Die Böll und Aichinger, die Grass und Bachmann, sie sahen in Brandt die Symbolfigur, durch die ein besseres Deutschland, das Land der Verfolgten und Exilierten des Naziregimes, heimgeholt werden könnte in eine demokratisch verbesserte Republik. Die noch von Bundeskanzler Erhardt als „Pinscher“ Beschimpften dürsteten danach, die Kluft „zwischen Geist und Macht“ wenn nicht zu schließen, so doch zu überbrücken.

Konkret verfolgten sie mit ihrem Engagement als Wählerinitiative in den Wahlkämpfen der späten 60er und frühen 70er Jahre zwei Ziele: der „Neuen Ostpolitik“ gegenüber Rußland und Polen den Boden eines gesellschaftlichen Engagements einzuziehen, sprich zur „Versöhnung“ beizutragen. Daher die ungeheure Resonanz des Kniefalls Brandts vor dem Denkmal der Warschauer Ghettokämpfer. Und zweitens wollten die Künstler und Gelehrten die angeknacksten autoritären Strukturen von Adenauer-Deutschland aufbrechen, „mehr Demokratie wagen“, sprich den basisdemokratischen Impetus der Studentenrevolte ins „Konstruktive“ umleiten.

Mit der ersten Absicht hatten die Künstler & Gelehrten im Dienst der SPD vollen Erfolg, mit der zweiten scheiterten sie jämmerlich. Nach einer großzügigen Geste, der Amnestie für APO- Straftaten, an deren Vorbereitung die SPD-Kulturniks nicht unbeteiligt waren (und von der der Verfasser dieser Zeilen profitierte, ohne sich dankbar zu zeigen), folgten bereits 1971 der Radikalenerlaß und danach in dichter Folge die diversen Grundrechtseinschränkungen – alle noch unter der Kanzlerschaft Brandts. Unter dessen Nachfolger waren Strammstehen und parzellierter Sachverstand angesagt. Das schmeckte den Geistes- und Kulturgrößen nicht. Die Initiative des unermüdlichen Einsammlers Staeck versandete. Und nichts spricht dafür, daß sie unter Schröder, dem erklärten Fan von Helmut Schmidt, wiederaufleben wird. Christian Semler

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