■ H.G. Hollein: Dom gelaufen
Die Frau, mit der ich lebe, möchte des öfteren gern groß ausgeführt werden. Gut, daß es viermal im Jahr den Dom gibt. Ich finde, da kann sie sich so richtig austoben. Und ich gucke natürlich auch nicht auf die Mark, wenn ich sehe, wie sich ihr liebes Gesicht angesichts all der ganzen Jahrmarktherrlichkeit verklärt. Sie kann dann gar nicht schnell genug von einem Stand zum nächsten eilen. Zuckerwatte, Liebesäpfel, Roßbratwürstchen. Was immer ich ihr darbringe, die Gefährtin reagiert immer gleich: „Den fettigen Mist kannst du ganz alleine essen!“ flüstert sie mir das eine ums andere Mal ins Ohr, aufopferungsvoll und dankbar, wie ich sie sonst kaum kenne. Auch bei meinen Versuchen, ihr einen dieser knuddeligen Pu-Bär-Riesen aus dem Los-Eimer zu fischen, steht ihr die freudige Erwartung ins Gesicht geschrieben. Allein, diesmal ist das Schicksal gegen uns. „Pech im Spiel, Glück in der Liebe“, tröste ich die Gefährtin charmant, und wie sie so zu mir aufschaut, sagt ihr Blick mehr als tausend Worte. Auf der Achterbahn sause ich dann allerdings allein juchzend durch Tiefen und Höhen, derweil die Gefährtin am Enzianstand mit bangem Herzen treulich auf mich wartet. Ich lohne es ihr mit einem Lebkuchenherzen, auf das ich eigens für sie die Worte „Meiner Püppi“ habe spritzen lassen, und ganz sprachlos nimmt sie es entgegen. So gehen wir schnellen Schrittes weiter, bis die Gefährtin auf einmal ratlos verharrt. An dieser Stelle stand sonst immer eine Boxer-Bude, wo demjenigen 300 Mark winkten, der drei Runden gegen „den Satan aus Soltau“ oder seinesgleichen durchstünde. Die Gefährtin wirkt ein wenig enttäuscht, faßt sich aber dann doch. „Nächstes Mal, Schatz“, lächelt sie mir tröstend zu, „nächstes Mal bekommst du deine Chance.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen