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Dr. Alam Shibli hat nichts gefunden

Augenschein in der von US-Raketen zerstörten Arzneimittelfabrik „Al-Chifaa“ im Sudan: Der Angriff traf wohl keine Chemiewaffenschmiede, dafür aber stärkte er propagandistisch die Militärregierung  ■ Aus Khartum Ilona Eveleens

Zerbrochene braune Medizinflaschen liegen zwischen umgefallenen Mauern. Geschmolzene Plastikverpackungen von Antibiotika kleben an Stahlgeländern. Hier und da steigt noch immer Rauch aus den Trümmern auf. Die Fässer mit Kühlflüssigkeit von der Hansa Chemie AG in Duisburg und Berlin haben den US-Raketenangriff vom Donnerstag überstanden, aber sonst ist wenig übrig von der modernen Arzneimittelfabrik „Al- Chifaa“ (Gesundheit) in Sudans Hauptstadt Khartum.

Keine Beweise für C-Waffenproduktion

„Natürlich geben wir dem Irak chemische Produkte für die Anfertigung von Nervengas!“ scherzt der Fabrikangestellte Dr. Alam Shibli bitter am Eingang neben einem Tisch, auf dem ein Teil einer US-Rakete liegt. „Natürlich vergiften wir die Menschen von Jemen und Tschad mit unseren Medikamenten! Aber Spaß beiseite: Wir exportieren Veterinärmedizin nach Irak und Humanmedizin nach Jemen. Wir haben eine UN- Genehmigung für den Export in den Irak. Wir waren beinahe fertig mit einer Medizinsendung gegen Tuberkulose für den Jemen. Das alles machten wir hier neben der Medizinproduktion für den Sudan selbst. 60 Prozent der Medikamente, die hier benutzt werden, kamen aus unserer Fabrik.“

Vor der Öffnung des Werkes im Dezember 1996 hat die Weltgesundheitsorganisation die Anlage besucht. Die Fabrik stellte rund 75 Medizinsorten für den menschlichen Bedarf und rund 15 Sorten für Tiere, alles rund 40 Prozent billiger als Importprodukte. Sudan ist ein armes Land – wegen des Bürgerkriegs und wegen der internationalen Isolation. Der größte Teil der Bewohner von Khartum ist arbeitslos.

Dr. Shibli gibt zu, daß er nach dem US-Angriff zunächst Zweifel hatte. Hatte sein Arbeitgeber ihn belogen? Wurden vielleicht tatsächlich in unterirdischen Räumen giftige Waffen produziert? Vier Tage und Nächte lang ist er nun über die Trümmer gelaufen. Und er hat nichts gefunden, was diesen Verdacht bestätigen könnte.

„Wenn es hier wirklich tödliches Nervengas gegeben hätte, wäre jetzt die Hälfte der Bevölkerung von Khartum tot“, meint ein Fabrikarbeiter, der seinen Namen nicht nennen will. Die Sudanesen wundern sich über die Präzision der US-Raketen, die ihr Ziel genau trafen wie die Faust das Auge. Ein westeuropäischer Diplomat meint, daß der US-Angriff deshalb mehr als Warnung betrachtet werden sollte: „Die Amerikaner wollten sehen, wie genau sie treffen. Es ist eine Warnung, daß sie Produktionsstätten für C-Waffen genau zerstören können.“

Außer Al-Chifaa nahmen nur zwei nahe gelegene Gebäude Schaden, in denen Süßigkeiten hergestellt wurden. Die sudanesische Regierung hat jetzt die internationale Gemeinschaft aufgerufen, die Trümmer zu inspizieren. Die Weltpresse kann sich das Gelände anschauen, ohne daß die Begleiter der Geheimpolizei sie behindern.

Plötzlich erscheint eine Gruppe schwerbewaffneter Polizisten. Zwischen den Männern in olivgrünen Uniformen läuft Riek Machar, eine der wichtigsten Personen im sudanesischen Bürgerkrieg. Früher war Machar einer der Führer der südsudanesischen Rebellenbewegung SPLA – heute führt er eine eigene Gruppe, die mit der Regierung verbündet ist. Vorsichtig betritt er ein halb eingestürztes Gebäude und schaut sich schweigend den etwa 50 Quadratmeter großen Krater des Raketeneinschlags an. Dann dreht er sich um und erklärt: „Die Amerikaner sagen, daß sie Terroristen bekämpfen, aber sie selbst machen das mit Terror. Auf diese Fabrik waren wir Sudanesen sehr stolz. Es war eine der wenigen Privatinvestitionen im Land. Al- Chifaa sorgte für billige Medikamente. Wo sind die Beweise für die Beschuldigungen der USA?“

Der Fabrikbesitzer Salah Idriss lebt seit 20 Jahren in Saudi-Arabien und wird in Khartum durch den Anwalt Ghazi Suleiman vertreten. In seinem Büro in der Innenstadt hängt die typische Hitze der Wüstenstadt. Der Anwalt schüttelt seine grauen Locken: „In Al-Chifaa wurden keine chemischen Waffen hergestellt. Salah Idriss ist auch kein Strohmann für Ussama Bin Laden. Bin Laden ist ein Saudi, der im eigenen Land nicht willkommen ist. Denken die Amerikaner wirklich, die saudische Regierung würde Salah Idriss diese Rolle spielen lassen?“

Opposition will „Hilfe, aber friedliche Hilfe“

Ghazi Suleimans Zweifel haben Gewicht. Normalerweise arbeitet er als Menschenrechtsanwalt, der Gegner der Militärregierung von Präsident al-Baschir verteidigt. Er hat selber gerade einen Monat lang im Gefängnis gesessen. „Ich gehöre zur Opposition“, sagt er. „Ich bin überzeugt davon, daß wir auswärtige Hilfe brauchen, um die Diktatur zu stürzen. Aber wir brauchen friedliche Hilfe. Der US- Angriff hat unseren Kampf erschwert. Ein paar Tage vor dem Angriff haben die Leute noch gegen die Regierung demonstriert. Jetzt hat jeder seinen Unmut gegen das Regime vergessen.“

Die Botschaftsgebäude der USA und auch Großbritanniens, dessen Regierung den US-Angriff voll gestützt hat, werden derweil von Botschaftsangestellten wieder aufgebaut. Sie waren in den Protesten nach dem Angriff von wütenden Sudanesen beschädigt worden. Aber die Wut ist mittlerweile verschwunden. Die Einwohner von Khartum beschäftigen sich wieder mit ihrem normalen schwierigen Leben.

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