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Kiffer nach Mitternacht

■ Mit dem allzu spekulativen Neo Noir „Dark City“ schließt heute abend das Fantasy Filmfest

Nun fällt sie, die Klappe beim Hamburger Gastspiel des Fantasy Filmfest. Viel haben wir gesehen, auf diesem „unbekannten Terretorium“ der „Celluloid Phantasmen“, das die Veranstalter im Programmheft „viele Lichtjahre von der Realität entfernt“ durchkreuzten, um in „Galaxien“ einzudringen, die „nie ein Mensch zuvor gesehen hat“. Nun ja, vieles entpuppte sich dann dennoch als altbekannt. Nach über viereinhalb Stunden Phantasm 1-3 vor einem stumpf jede Leiche beklatschenden Publikum dämmerte so manchen im Morgengrauen, daß die großen Zeiten des Splatterkinos vielleicht einfach vorüber sind, genauso ad acta gelegt werden können wie Russ Meyer. Noch verdutzter mag man allerdings auf das Kalkül reagieren, mit dem zunehmend auf einen Mainstream-Markt geschielt wird, der längst seine John Woos oder Wes Cravens verdaut hat.

Symptomatisch in dieser Hinsicht schließt das Filmfest heute mit Dark City. Wo der Thriller Wild Things schon sein eigenes Sequel ist, seine Logik à la Scream 2 um einige hirnrissige Windungen weiterdreht und erzählerisch übersteigert, kurz: Verdachtsmomente mit der Schrotflinte verteilt, schlängelt sich der Neo-Noir-Science-Fiction-Hybride Dark City von Alex Proyas durch eine noch viel vertracktere, mit einem – zugeben – effektvollen Knallwölkchen endende Story, gibt vor allem visuell Saures und dürfte so unter Freunden postmodernen Schaufensterkinos viele Liebhaber finden. Morpht sich diese Stadt der verlorenen Bilder architektonisch aus den „Erinnerungen der Menschheit“ zusammen, entspringt Dark City einem Pastiche von allem, was kultverdächtig ist: die Identitätsproblematik von Blade Runner in einem Cornell-Woolrich-Plot mit den aus Brazil übriggebliebenen Dampfmaschinensets, genau der Stoff, aus dem Kiffer-Mitternachts-Vorstellungen gemacht sind. Um in den Studentenkinos zu landen, heißt der von Kiefer Sutherland gespielte Psychiater nach Freuds Parade-Paranoiker Dr. Schreber. Den Helden der Schwarzen Serie gleich sucht der unter Gedächtnisverlust leidende Rufus Sewell nach einem Schlüssel zu seiner Vergangenheit, um sich vom Verdacht zu befreien, jener von William Hurt gejagte Prostituierten-Mörder zu sein. Dann stellt sich heraus, daß alles anders ist, weil nämlich aus Clive Barkers Hellraiser entsprungene Aliens nicht nur die Erinnerungen manipulieren. Mit William Dieterles Dark City von 1950 hat das zwar nichts zu tun, aber daß der Film dann doch nicht komplett verschenkt ist, liegt am Bumms am Ende, mit dem er – eben – verpufft.

Tobias Nagl

heute, 20.30 Uhr, Cinemaxx 1

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