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Präzise visuelle Irrtümer

Polyzentrisch: „floating – Kunst aus Hamburg und Tel Aviv“ im Kunsthaus  ■ Von Hajo Schiff

Der Zoll war ratlos, warum alte Koffer und kaputte Krücken so edel verpackt nach Hamburg eingeflogen wurden. Für den israelischen Künstler Nir Alon sind die auf den Straßen Tel Avivs gefundenen Dinge Ausdruck unbehausten jüdischen Schicksals: Zeichen für Vertreibung, Vernichtung und Vergessen. Seine zerbrochenen Tische, wackligen Stühle und verletzten Schubladen sind als Kunstobjekte einer Fundsachen- und Fluxusästhetik verpflichtet, erzählen politisch gelesen aber einiges von der ideellen und sozialen Ungemütlichkeit, die auch im 50. Jahr nach der Staatsgründung Israels noch präsent ist.

Das Staatsjubiläum ist dem Hamburger Kunsthaus Anlaß, Künstler mit israelischem Paß zu präsentieren. Die Gruppenschau floating – Kunst aus Tel Aviv und Hamburg präsentiert mit Nir Alon und der Malerin und Fotografin Deganit Berest zwei Künstler aus Tel Aviv und mit den Malern Jaakov Blumas und RYoram Merose sowie dem Plastiker Zvika Kantor drei in Hamburg lebende und arbeitende israelische Künstler.

In großen Diptychen von elliptischen oder perspektivisch verkürzten Kreisformen verdoppelt Jaakov Blumas die Bildzentren und bewirkt ein Wandern der Wahrnehmung vom Malerischen zur Form und zurück ins Ungewisse. Große Bildtafeln malt auch RYoram Merose. Seine Serie „Die zehn Gebote (Ästhetik)“ kombiniert einfache Sinnbilder mit simplen Sätzen über Bilderschmuck in der Wohnung aus einem Haushaltsbuch von 1954 und entlarvt so normative Kunstkritik als Trivialität. Zu visuellen Irrtümern verführt Deganit Berest mit der „Stillen Post“. Bei ihren Fotoreihen lösen sich Bilder einer Zeitungsseite, TV-Bilder und Nahaufnahmen am Ende zu einem Zebrafell auf. Eine in beide Richtungen zu lesende Strukturvarianz, bei der die Ähnlichkeit von Unähnlichem ein sinnvolles Lesen der Welt kaum mehr ermöglicht.

Den Versuch einer eindeutigen Erklärung verweigert auch Zvika Kantor mit dem Aluminiumskelett eines unbekannten Flugobjekts auf den Füßen eines liegenden Stoffelefanten. Seine Mischung von Sinn- und Stilebenen wird zur produktiven Verneinung verbindlicher Allegorien. Das biblische Verbot, sich Bilder zu machen wurde mißachtet – und wie zur Strafe haben diese neuen Bilder keinen neuen Nutzen. Die Künstler erstellen präzise Irrtümer und verweisen zurück auf das Wort.

Auch wenn es in der Ausstellung kein direktes Bekenntnis zum Judentum gibt, reizt die Frage nach dem spezifisch jüdischen dieser israelischen Kunst. Eine Vorurteile aktivierende Frage, die kaum ohne Emotionen diskutiert werden kann, doch im Interesse eines produktiven Dialogs nötig ist. Bei der Eröffnung erörterte dies Martin Roman Deppner, Hamburger Kunsthistoriker und Gastprofessor für „Jüdische Studien, Schwerpunkt bildende Kunst“ an der Universität Oldenburg. Jüdisches Selbstverständnis habe die moderne Kunst weitgehend geprägt: Erfahrung der Diaspora, elliptisches, abstraktes und selbstrefelektives Denken. Bezüge in der Schwebe zu halten und das Mißverständnis als Thema ernst nehmen, eine eindeutige Setzung aber aus bitterer Erfahrung nurmehr mit Ironie darstellen können – das ist die aus alten Quellen gespeiste, polyzentrische Moderne.

„floating – Kunst aus Tel Aviv und Hamburg“, Kunsthaus, Klosterwall 15, bis 13. September

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