: Nester für junge Familien – statt für Vogelbrut?
■ Für die Bauern in Brokhuchting ist der Landverkauf die „vierte Fruchtfolge“
„Ein Reiher. Schauen Sie. Bei den Weiden dort hinten.“ Auf dem Ausguck der „Liebesecke“ im Knick der Brokhuchtiger Landstraße drängelte sich gestern viel Menschengetier, um dem Landschafts-, und Vogelschutzgebiet Brokhuchting seine Referenz zu erweisen. Waltraud Hammerström (SPD), die Vorsitzende der Bremer Umweltdeputation, hatte ein kleines Fachpublikum zum Spaziergang geladen: Hans-Werner Blank aus der Umweltbehörde und Dieter Blanke, der Umweltsprecher des Huchtinger Beirats; Frau Riesner-Kabus von der Landschafts-ökologischen Forschungsstelle kam mit vielen bunten Karten und Martin Rohde vom BUND übernahm die sachkundige Führung. Vor Ort wollte man erkunden, welche Auswirkungen ein künftiges Wohngebiet im Randbereich der weitläufigen Wasser- und Wiesenlandschaft wohl haben werde und war sich schnell einig: Den Wasserrallen und Kiebitzen, den Bekassinen und Uferschnepfen, die sich hier in den letzten zehn Jahren vorsichtig ihre Rast- oder Brustätten suchten, wird das gar nicht gefallen, wenn ihnen jetzt tausend Menschen mit ihren eigenen steinernen Brutstätten direkt aufs Gefieder rücken. Zehn Jahre habe der Graureiher gewartet, berichtete gestern Frau Riesner-Kabus auf dem gemeinsamen Ausguck: Dieses Jahr habe er erstmals gebrütet. „Und auch die Kormorane sind jetzt fast soweit.“ Alles für die Katz (und den Haushund)? Am morgigen Donnerstag zumindest wird sich Bremens Bausenator Bernt Schulte auf die Suche nach dem neuen Wohngebiet machen. Bevor es damit losgeht aber soll aus den Ausgleichsflächen, die sich hier in beindruckender 350 quadratmetergroßer Weitläufigkeit südlich des neuen Gütervehrkehrszentrums ausbreiten, nach dem Willen der Umwelt-Experten nun zumindest erstmal das längst unterschriftsreife Naturschutzgebiet gemacht werden.
Schon wegen der Vögel. Schade, daß keiner einen Feldstecher dabei hat. Der Reiher hinten am Fleet putzt sich ausgiebig. Ansonsten breitet sich vor dem ungeübten Auge viel ruhendes schwarzbraun und rotbraun Geschecktes über die Polderflächen. Von den Vogelschwärmen, die mit vielen hundert Rast- und Brutplätzen den Schutzraum rund um die neue Ochtum nutzen, ist an diesem Tag nichts zu sehen. Die kommen in den Winter- und Frühlingsmonaten, wenn auf den Polderflächen sich eine weite Seenlandschaft ausbreitet.
Sommers hingegen wird das Brokhuchtinger Landschaftsschutzgebiet rege als bäuerliches Wiesenland genutzt – schon weil es dafür aus der Umweltbehörde kräftig Zuschüsse gibt. Diese aber reichen so manchem der Bauern in ihren schweren Gehöften auf der flachen Marsch nun auch nicht mehr. Gemeinsam mit dem Bremer Bauunternehmen Müller & Bremermann haben sie sich als Interes-sensgemeinschaft zusammengetan und wollen sich nun ein paar Millionen als „vierte Fruchtfolge“ zusammenverdienen, so gestern süffisant Waltraud Hammerström. Damit steht seit Anfang dieses Jahres das alte, fast schon gestorbene Wohnprojekt plötzlich wieder ganz vorne auf dem Plan. Vor allem, nachdem seit Juni dieses Jahres der Baudeputation eine neue Umweltverträglichkeitsstudie vorliegt – Auftraggeber: die bäuerliche Interessensgemeinschaft – zu dem das Planungsamt eine „Grundzustimmungsvereinbarung“ signalisierte. Aus dem Haus der Umwelt- und Sozialsenatorin hingegen kommen eher Zweifel. Weder seien bisher Fragen der Infrastruktur hinreichend diskutiert noch die Fragen der Entwässerung geklärt. Ein ganzes Schöpfwerk müsse vom Varreler Fleet her verlegt werden, so gestern Hans-Werner Blank, bei der Umweltsenatorin verantwortlich für Bremens Ausgleichsflächen. Kostenpunkt: eine halbe Million Mark. Von den nötigen Deichbauarbeiten für die rund tausend Menschen in den geplanten 400 Wohnungen ganz zu schweigen. Diese nämlich würden zur Zeit nördlich des Bahndammes knapp an der Landesgrenze nach Delmenhorst schon mitten drin in den Wasserrückhalteflächen im Hochwasserfall liegen. ritz
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