: Aus: Der Traum vom Kaufmannsladen
Wieviel Kaufmannsläden verrotten wohl auf den Speichern der Bremer Häuser? Wo sind all die kleinen Holzverschläge mit Durchguck, hinter denen die Kleinen sich früh im Warentausch übten und von der zwangsrekrutierten Verwandtschaft für ihre Mini-Nudelpackungen und Holzgurken realen Geldwert in die Klingelkasse bekamen? Aus und vorbei sind die Zeiten des glücklichen Betrugs – welches Kind wußte nicht, daß es für die glitzenden Silberstücke im Supermarkt um die Ecke ungleich Reizvolleres gab, als die leeren Pappschächtelchen es versprachen.
Nach ein paar Tagen aber verschwanden die Verwandten – und mit ihnen die Kaufmannsläden. Nur in der putzigen Köpkenstraße, da wo mit dem Tischlereimuseum auch Bremens kleinstes Werkstatt-Requisit des 19. Jahrhunderts auf Besucher wartet, konnte die Sehnsucht nach den Tagen des Glücks noch für ein paar Jahre gestillt und aufs neue geschürt werden. Hinter der jugendstilverspielt-milchverglasten, hinter der immer verschlossenen Tür des kleinen Lädchens in der Hausnummer 3 nämlich war die Zeit stehen geblieben. Die alte Frau Gläsener hatte hier als letzte Erinnerung ans Milchquartier still und unauffällig eine kleine öffentliche Installation aufgebaut. Und mit den vergehenden Jahren wurden aus Waren Museumsstücke fürs Gemüt. Den drei mal drei Meter großen Milchladen nämlich hatte die Kaufmannsfrau nach dem Tod ihres Mannes irgendwann aufgegeben, den Inhalt der vier großen Laden mit Gries, Reis, Nudeln und Mehl aß sie wohl selbst noch auf, trank fünfzig Kartons Gold Butte leer und stellte sie sorgsam zurück ins Regal – neben leere Kaba-Dosen, den schwarzen Elefanten „Marke Teekanne“ und – hoppla! – ein längst entwohntes Hornissennest. Und auch die Atlantis-Neonlampe und das schöne Schaufenster ließ sie. Als ein Kinder-Kaufmannsladen für viele plattgedrückte Sehnsuchtsnasen – nun ist es vorbei. Frau Gläsener ist nicht mehr da – nur gut, daß es noch den Bauernladen im Nebenhaus gibt. Da kann sich, wer leidet, unter köstlichen Blaubeerdüften dem Vergessen anheimgeben. ritz
Foto: Kay Michalak
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