: Nolte kriegt Contra
■ Kinderarmut drastisch angewachsen
Hannover. Der Deutsche Kinderschutzbund (Hannover) hat die Aussagen von Bundesfamilienministerin Claudia Nolte (CDU) zum zehnten Kinder- und Jugendbericht in scharfer Form zurückgewiesen. „Kinderarmut ist dramatisch angewachsen. Ich bin entsetzt darüber, daß Frau Nolte offensichtlich Armut nur anerkennt, wenn ein Kind sozusagen kurz vor dem Verhungern ist“, sagte Verbandspräsident Heinz Hilgers am Mittwoch.
Die Ministerin hatte am vergangenen Dienstag bei der Vorlage des Berichts in Bonn unter Hinweis auf unterschiedliche Armutsdefinitionen die Ansicht von Experten zurückgewiesen, in Deutschland sei die Zahl armer Kinder während der vergangenen Jahre stark gestiegen. Armut setze hierzulande früher ein als in den Entwicklungsländern, betonte Hilgers. „Der Begriff ist relativ. In unserer Gesellschaft ist Armut etwas anderes als in der Sahelzone.“ In der Bundesrepublik beginne Armut dort, wo Eltern ihrem Nachwuchs keine angemessene Bildung und Zukunft finanzieren können. „Daß die Ministerin sogar bestreitet, daß Sozialhilfeempfänger arm sind, ist dreist“, sagte Hilgers. Ein siebenjähriges Kind erhalte dabei im Schnitt 270 Mark. „Damit ein Kind großzuziehen, ist utopisch. Die Kosten liegen hier monatlich bei 900 Mark.“
Kinderarmut zeige sich überall dort, wo bei Gesundheitsvorsorge, Ernährung und Bildung der Jüngsten gespart werden müsse. „Diese Kinder fühlen sich außen vor, weil sie nicht mithalten können, sie haben existentielle Zukunftsängste.“ Bereits Zehnjährige hätten Angst vor Arbeitslosigkeit. „Wer dramatische Entwicklungen hier nicht sehen will, ist auch zur Problemlösung nicht in der Lage.“
Der Präsident des Kinderschutzbundes forderte eine schnelle Änderung beim Familienlastenausgleich. „Da stimmt nichts mehr, wenn Familien mit zwei und mehr Kindern einen Vermögenstransfer zugunsten kinderloser Ehepaare leisten.“ Er sehe einen direkten Zusammenhang zwischen dem Anstieg von Kinderarmut und steigender Jugendkriminalität in Deutschland. „Kinder, die nicht mithalten können mit ihren Altersgenossen, fühlen sich ausgeschlossen von der Gesellschaft und akzeptieren auch deren Spielregeln nicht.“ dpa
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