Richter stoppen Ausweisung Heimatloser

■ Bremer Oberverwaltungsgericht macht bosnischen Flüchtlingsfamilien aus der Republika Srpska Hoffnung: Beschwerden gegen bevorstehende Abschiebung ins fremde Bosnien zugelassen

Muslimische Flüchtlingsfamilien, die aus dem Gebiet der heutigen Republika Srpska stammen, können hoffen, daß ihnen die baldige Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina erspart bleibt. Das Bremer Oberverwaltungsgericht (OVG) äußerte in einer gestern veröffentlichten Entscheidung Bedenken gegen die von den Innenministern der Länder geplante rasche Ausweisung.

Der erste Senat unter Vorsitz des OVG-Präsidenten Günter Pottschmidt ließ die Beschwerden dreier Familien, darunter einer Witwe mit zwei minderjährigen Kindern, gegen die Abschiebungsandrohung des Bremer Stadtamtes zu. Das Verwaltungsgericht hatte in erster Instanz anders entschieden. Bis zur endgültigen Entscheidung vorm Oberverwaltungsgericht über die Beschwerden dürfen die Familien nicht abgeschoben werden.

Es sei nach bisherigem Erkenntnisstand „ernsthaft in Betracht zu ziehen, daß Familien mit Kindern zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt würden“, begründen die Richter ihre Entscheidung. Es gebe Hinweise darauf, daß „besonders schutzwürdige Personengruppen“ in den ehemaligen Kriegsgebieten bei dem Wettkampf um den viel zu knappen Wohnraum kaum Chancen auf angemessene Unterbringung hätten. Im Falle eines arbeitsfähigen alleinstehenden Mannes hält der erste Senat des OVG eine Ausreise aber für zumutbar und lehnte den Antrag ab. Der Mann sei flexibel und könne sich selbst helfen.

Nach offiziellen Angaben leben derzeit 160.000 Flüchtlinge in Deutschland, die aus den jetzt von Serben kontrollierten Landesteilen stammen. In Bremen und Bremerhaven halten sich laut Innenressort noch 716 Kinder und Erwachsene aus dieser Gruppe auf. Nach den Plänen der Länderinnenminister sind sie jetzt als letzte mit der Ausreise nach Bosnien dran, nachdem die Mehrzahl der bosnischen Flüchtlinge, die in ihre Heimatgebiete zurückkehren konnten, Deutschland bereits verlassen haben.

Da das heutige Bosnien-Herzegowina nicht ihre Heimat ist, könnten diese Menschen jedoch überwiegend nicht mit Hilfestellung durch vorhandene Familienverbände, Nachbarschaften oder Dorfgemeinschaften rechnen. Wie die Behörden der bosniakisch-kroatischen Föderation, die ja auch schon 450.000 in ihre Heimatregion zurückgekehrte Flüchtlinge unterbringen muß, diesen weiteren Zustrom von gebietsfremden Zuwanderern unter menschenwürdigen Umständen bewältigen sollen, ist für die Bremer Richter nicht geklärt. So lebten in der Stadt Tuzla heute 60.000 Menschen mehr als vor dem Krieg; von den jetzt 150.000 Einwohnern seien 70.000 Flüchtlinge. Es gebe Hinweise, daß bei dem Verteilungskampf insbesondere um Unterkünfte „alleinstehende Frauen mit Kindern an den Rand gedrängt zu werden drohen“, schreiben die Oberverwaltungsrichter. Das Auswärtige Amt hatte dem Verwaltungsgericht Ende Mai mitgeteilt, daß eine problematische Entwicklung absehbar sei.

Für die seit Jahren für bosnische Flüchtlinge engagierten Bundestagsabgeordnete der Grünen, Marieluise Beck, sind die unterschiedlichen Einschätzungen der Gerichte eine „Folge des Salats, daß nicht klargestellt ist, wer wohin geschickt werden soll“. Was jetzt im Ermessensspielraum der Gerichte liege, müßte eigentlich politisch entschieden werden.

Von den ehemals 3.200 bosnischen Flüchtlingen in Bremen sind nach Angaben des Innenressorts bereits mehr als 2.000 aus Deutschland ausgereist. Fast alle gingen freiwillig, um die angedrohte Abschiebung zu vermeiden. Denn wer abgeschoben wird, darf nicht mehr nach Deutschland einreisen, auch nicht zu Besuchszwecken. jof