Die Traumata von Ramstein

Vor zehn Jahren stürzte die Flugstaffel „Frecce tricolori“ über der US-Airbase ab. 70 Menschen kamen ums Leben, knapp 500 wurden schwerletzt.  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Ramstein (taz) – Heute vor zehn Jahren stürzten drei Maschinen der Kunstflugstaffel der „Dreifarbigen Pfeile“ („Frecce tricolori“) über Ramstein ab. Auf der US-Airbase besuchten zu diesem Zeitpunkt rund 400.000 Menschen die militärische Flugshow der US- Air-Force und ihrer Nato-Verbündeten. Tote überall am Rande der Rollbahn. Und knapp 500 Schwerverletzte.

Die durch Trümmer und Splitter verstümmelten und die durch ihre im Feuersturm erlittenen Brandwunden lebenslang entstellten Menschen sind für ihre Leiden finanziell entschädigt worden: nach zähen, oft jahrelang dauernden, zermürbenden Kämpfen mit den Behörden. Aber auch bei den Menschen, die unverletzt blieben, sind die schrecklichen Bilder allgegenwärtig: die bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Leichen; die brennenden Menschen, die sich wie lebende Fackeln schreiend auf dem Boden wälzten; die in Sekunden weggebrannten Hamburgerstände, an deren schwarzen Trümmeren verkohlte Leichen klebten; die Panik, die Massenflucht. „Traumata wie nach Kriegsereignissen“ konstatierten Psychologen bei den Opfern, die das Inferno überlebt haben. Nach Ramstein wurde ein neues Krankheitsbild diagnostiziert: PTSD (Posttraumatische Belastungsreaktion). Ramstein ein Menetekel.

Auch die Helfer haben Furchtbares gesehen. „Rettungschaos“ in Ramstein: Die deutschen Notärzte wollten die Schwerverletzten an Ort und Stelle behandeln; die US- Rettungsphilosophie basierte auf dem sofortigen Abtransport der noch lebenden Opfer in die – schnell überbelegten – Kliniken der Region. Die US-Amerikaner handelten. Wie viele Menschen an diesem heißen Tag beim Transport etwa auf Lkw-Pritschen gestorben sind, weiß kein Mensch.

Bis heute weigert sich die US- Administration, die exakte Zahl der zu Tode gekommenen und der schwerverletzten Amerikaner zu nennen. Gezählt wurden die Leichen der sofort – oder wenige Tage danach – gestorbenen Menschen. Das waren 70. Wie viele an den Spätfolgen ihrer Verbrennungen oder Verstümmelungen verstoben sind, ist dagegen nicht bekannt. Die offizielle Zahl der Schwerverletzten: 450. Ramstein ein Menetekel?

Nicht für die Kunstflieger der Luftwaffen der Nato-Verbünden. Die im (italienischen) Volksmund „fliegende Idioten“ genannte Staffel „Frecce tricolori“ ist weiter fester Bestandteil im Programm von Flugtagen überall auf der Welt. Erst in dieser Woche wurden reißerische Fotos von einer Kunstflugstaffel der französischen Luftwaffe veröffentlicht. Deren Spezialität: Fast-Zusammenstöße über den Köpfen der „begeisterten ZuschauerInnen“. Auch für die meisten RamsteinerInnen ist das Inferno von 1988 kein Menetekel. Die Gegner der Flugtage aus den Reihen der anti-militaristischen BI „Mir schnappe nimmer“, der Grünen und der SPD waren in Ramstein verhaßt. Sie sind für viele noch heute die „Nestbeschmutzer“.

Der Katastrophentag? – „Schlimm“, antwortet ein Tankwart. Aber man fahre doch auch weiter Auto, auch wenn laufend böse Unfälle passierten. Zu Flugtagen reist er jetzt nach Frankreich. Die US-Base ist die Lebensader der Region. Mit „new and used cars“ macht der Tankwart sein Geschäft. Und Flugtag ist weiter täglich. Die Düsenjäger und die schwere Transportmaschinen der US-Airforce starten und landen in Minutenabständen.

Nach langer Debatte hat die Gemeinde Ramstein zum 10. Jahrestag endlich ein Denkmal für die Opfer errichten lassen, versteckt in einem Wäldchen nahe der breiten Zufahrtsstraße zur US-Base. Das Denkmal ist ein Quader aus rotem Sandstein mit einer Bronzetafel, auf der die Namen der 70 Getöteten in alphabetischer Reihenfolge eingraviert sind: Die der (unfreiwilligen) Täter, der drei Unglückspiloten, und die der Opfer. „Zur Erinnerung an die getöteten Menschen durch die Flugkatatstrophe von Ramstein am 28. 8. 88. Und zum Gedenken an die Opfer, die an den Folgen verstorben sind.“ Vor dem Denkmal stehen zwei stabile Holzbänke. Eine gestiftet von der italienischen Luftwaffe, die andere von der US-Airforce.

An diesem Gedenkstein werden sich heute die Überlebenden und die Angehörigen der Getöteten versammeln. Vertreter der Bundeswehr, der italienischen Botschaft, der beiden Kirchen, der US-Airforce und der Landesregierung werden reden; und Marlies Witt als Sprecherin der Opfergemeinschaften. Marlies und Alfred Witt aus Trier haben in Ramstein ihren Sohn (16) verloren. Sprechen wird auch die Ärztin Sybille Jatzko, die zusammen mit ihrem Mann die psychologische Betreuung der Überlebenden und der Angehörigen organisierte. Jatzko hat inzwischen mit anderen Psychologen ein „Open Team“ gegründet, das nach Katastrophen traumatisierten Patienten hilft.

In diesen Tagen waren in Ramstein wieder Tote zu beklagen. Die Leichen der US-Amerikaner, die bei dem Bombenanschlag in Kenia ums Leben kamen, wurden auf der Base aufgebahrt. US-Außenministerin Madeleine Albright erwies ihnen die letzte Ehre. Damals, am Day after, schritten die ranghöchsten Generale der US-Streitkräfte in Europa mit versteinerten Minen das „Schlachtfeld“ in der Pfalz ab: hinweg über Tausende von Einwickelpapieren für Hamburger und vorbei an einem Geisterfuhrpark. Pioniere der US-Army hatten die Autos der Toten und der Schwerverletzten zu einem makabren geschlossenen Fuhrpark zusammengeschoben. Heute werden dort siebzig Kerzen brennen.