piwik no script img

Päpstin Johanna und die Hure Babylon

■ Der Bestseller „Die Päpstin“ von Donna W. Cross hat das Interesse geweckt: Gab es in der Geschichte des Vatikans wirklich eine als Mann verkleidete Frau auf dem Papstthron? Die Theologin Elisabeth Gössmann hat den Skandal um den Papst, der eine Frau war, wissenschaftlich durchleuchtet

Es gibt nur wenige Quellen, die die Existenz einer Frau an der Spitze der katholischen Kirche belegen, jedoch eine umfangreiche Rezeptionsgeschichte. 1994 veröffentlichte die Theologin Elisabeth Gössmann eine wissenschaftliche Studie zur Päpstin. Soeben erschienen ihre Forschungsergebnisse in aktualisierter Form, ergänzt um ein Kapitel zum Erfolgsroman von Donna W. Cross.

taz: Dichtung oder Wahrheit? Hat es die Päpstin Johanna wirklich gegeben?

Elisabeth Gössmann: Es läßt sich weder belegen, daß es sie gegeben hat, noch, daß es sie nicht gegeben hat. Zweifelsfrei feststellen läßt sich nur eines: Über Jahrhunderte hinweg hat die mögliche Existenz dieser Päpstin Kirchenmänner, Theologen und Juristen, aber auch Schriftsteller wie Boccaccio und Petrarca in helle Aufregung versetzt.

Worauf berufen sich WissenschaftlerInnen bei der Frage nach der Päpstin?

Es gibt zwei Geschichten aus dem 13. Jahrhundert. Ob in ihnen ein historischer Kern steckt, darüber kann man nur spekulieren. Eine der beiden Erzählungen taucht Mitte des 13. Jahrhunderts in einer Chronik auf, die von einem Angehörigen des Dominikanerordens geschrieben wurde. Nach dieser Version wird behauptet, daß es gegen Ende des 11. Jahrhunderts eine Frau in männlicher Verkleidung gegeben habe, die durch ihre große Begabung zunächst das Amt des Notars der päpstlichen Kurie erlangt habe und später zum Papst gewählt worden sei. Nach einem harten Ritt sei sie durch die Geburt eines Kindes als Frau entlarvt worden. Nach römischer Justiz sei sie getötet worden. Es fällt kein Name. Von Johanna ist nicht die Rede. Auch wird nicht bekannt, woher sie oder ihre Familie stammt. Diese Version schmeckt wegen der juristischen Genauigkeit ein wenig nach Realität.

Und wie lautet die zweite Variante?

Die zweite Variante wurde im Gegensatz zur ersten x-mal abgeschrieben, wieder aufgegriffen, weiter ausgesponnen und theologisch ausgewertet. Ende des 13. Jahrhunderts schreibt Martinus Polonus in der endgültigen Fassung seiner Papst- und Kaiserchronik: Johannes Anglicus, der aus England stamme, aber in Mainz aufgewachsen sei, habe Mitte des neunten Jahrhunderts zwei Jahre und sieben Monate den Papststuhl innegehabt. Er sei eine Frau gewesen, die von ihrem Geliebten nach Athen mitgenommen wurde, dort erfolgreich studiert und später in Rom gelehrt habe. Wegen des großen Ansehens als Lehrer sei sie zum Papst gewählt worden, habe aber einen Vertrauten zu sich gelassen und sei zwischen Kolosseum und Clemenskirche in Rom von der Geburt eines Kindes überrascht worden und auf der Stelle gestorben. Im Katalog heiliger Päpste werde sie wegen des Defekts der Weiblichkeit nicht geführt. Diese Version wurde von vielen Chronisten und theologischen Schriftstellern übernommen. An sie knüpften sich später weitere legendäre Ausschmückungen, wie etwa die der Geschlechtsprüfung des Papstes, ebenso wie theologische Spekulationen, ob denn das Pontifikat beziehungsweise Priestertum einer Frau überhaupt gültig sein könne.

Gibt es einen historischen Kern dieser Legenden?

Ohne Zweifel sind in altchristlicher Zeit und auch im Mittelalter transvestierte Frauen – also Frauen, die sich als Männer verkleidet hatten – in männliche Klöster eingetreten, weil sie dort besser studieren konnten. Der Philosoph Leibniz schrieb, daß möglicherweise ein transvestierter Bischof, also eine Frau, bei einer Prozession in Rom niedergekommen sei. Aber er möchte nicht annehmen, daß dies der Papst gewesen sei, denn es seien viele Bischöfe nach Rom gekommen. Auch diese Annahme hat ihren politischen Hintergrund. Leibniz war damals mit dem französischen Katholikenführer im ökumenischen Gepräch. Beide bemühten sich, die durch die Reformation getrennten Katholiken und Protestanten wieder zusammenzuführen. Und da mußte der Zankapfel Päpstin natürlich dem höheren Ziel geopfert werden. Denn seit dem 16. Jahrhundert beharrten die Reformatoren auf der historischen Existenz der Päpstin und schmähten dadurch Rom als Hure Babylon – so sei in der Papstkirche schon längst die apostolische Nachfolge unterbrochen. Die Papstkirche wiederum stritt die Existenz der Päpstin ab – ohne das an ihr entwickelte negative Frauenbild aufzugeben. Für Protestanten wie Katholiken war die Päpstin ein Scheusal.

Gab es in der katholischen Kirche überhaupt mächtige Frauen?

Bis zum 12. Jahrhundert konnten die Äbtissinnen weiblicher Klöster bis in den politischen Bereich hinein große Macht ausüben. In England gab es die berühmten Doppelklöster, die auch von einer Äbtissin geleitet werden konnten.

Wie kam es denn zu diesem negativen christlichen Frauenbild?

Die beiden großen Orden der Dominikaner und der Franziskaner sind die Hauptüberlieferer dieser Päpstin-Tradition. Doch zwischen den beiden Orden besteht ein Unterschied: Für die dominikanischen Schriftsteller offenbart sich in dem Täuschungsmanöver der Päpstin die Verlogenheit der Frau und in der bösen Absicht, die Kirche zu täuschen, die Natur des weiblichen Geschlechts. Eine Frau könne auch wegen ihrer Schwatzhafigkeit unmöglich ein kirchliches Amt innehaben, da sie noch nicht einmal das Beichtgeheimnis wahren könne. Die Franziskaner sprechen dagegen von einem dämonischen Einfluß auf diese Frau und verallgemeinern nicht. Und es sind auch Franziskaner, wie der berühmte Ockham, der die Päpstin dann zur Kirchenkritik benutzt. Er sagt, daß die Kirche zwar nicht in Glaubensfragen, sehr wohl jedoch in Tatsachenfragen irren könne. Dies beweise die Päpstin: Eine Frau wurde als Papst von der Kirche akzeptiert – hier irrte die Kirche.

Hat sich im Lauf der Jahrhunderte das negative Frauenbild gewandelt?

Trotz aller päpstlichen Worte über die Würde der Frau wird ihr auch heute, im 20. Jahrhundert, in der katholischen Kirche das Priesteramt verweigert. Damit haben die Diskussionen über die Päpstin wieder enorme Brisanz. Heute kann die Kirche jedoch weder mit der Unterwerfung der Frau unter den Mann argumentieren, noch kann sie ihre – wie sie es jahrhundertelang gemacht hat – intellektuelle und moralische Minderbegabung anführen, noch kann sie sich auf die Falschheit der weiblichen Natur berufen. Warum Frauen auch heute kein Priesteramt ausüben dürfen, dafür führt man in den vatikanischen Papieren zwei Gründe an, die auf der Tradition der Kirche beruhen sollen. Erstens: Nur der Mann könne Christus abbilden. Zweitens: Jesus habe nur männliche Apostel gewählt. Der erste Grund wird von vielen aufgeklärten Katholiken als biologistisch abgelehnt. Zum zweiten Grund hat die feministische Bibelauslegung ausführlich Stellung genommen und darauf hingewiesen, daß auch Frauen an den urchristlichen Ämtern teilgenommen haben, die noch nicht mit dem späteren Priesteramt identisch sind. Doch der Clou ist: Diese beiden Gründe spielen in den jahrhundertelangen Erörterungen über diese Päpstin und das weibliche Amt keine Rolle. Sondern es wird immer nur angeführt, Frauen seien aufgrund ihrer Natur nicht amtsfähig. Bis heute wird diese Rezeptionsgeschichte in der Theologie nicht hinterfragt.

In diesem Sinne ist der Roman „Die Päpstin“ also ein positives Rezeptionsbeispiel?

In der ersten Hälfte geht mir die Schwarzweißmalerei gegen den Strich. Hier das frauenfeindliche und grausame Christentum, dort das tapfere und hehre Germanentum. Die christliche Frauenfeindschaft ist derartig übertrieben gezeichnet, daß ich als Kennerin der wirklichen Tradition, die schlimm genug ist, kein Lesevergnügen mehr habe. In diesem Zusammenhang hat mich die Glorifizierung des Germanentums erschreckt. Die goldhaarige heidnische Mutter der späteren Päpstin ist stolz auf das germanische Blut in den Adern ihrer Tochter, das sie so tapfer macht. Einer Amerikanerin mag man das vielleicht verzeihen. Aber ich finde das gerade im Hinblick auf die politische Entwicklung und die Tendenz, rechte Gedanken wieder salonfähig zu machen, gefährlich. Was ich auch kritisiere, ist, daß Cross Praktiken der Hexenverfolgung aus der frühen Neuzeit in die Mitte des neunten Jahrhunderts verlegt. Das ist ein historischer Fauxpas. In der zweiten Hälfte des Romans ist es ihr dagegen gelungen, zu zeigen, was hätte sein können, wenn eine Frau diesen verantwortlichen Posten innegehabt hätte, den sie in der Zeit nur im männlichen Gewand innehaben konnte. Interview: Michaela Eck

Elisabeth Gössmann ist außerplanmäßige Professorin im Fachbereich Philosophie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Anfang der sechziger Jahre schloß sie ihre Habilitationsschrift in Katholischer Theologie ab. 1963 erhob die Bischofskonferenz Widerspruch gegen die theologische Habilitation von Nichtpriestern. Theologische Wissenschaftskarriere machte Elisabeth Gössmann in Japan.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen