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Der gute Zweck Wahlsieg

Zwischen Kurkonzert und Politik-Lehrgang: Beim SPD-Wahlkampfauftakt war  ■ Florian Marten

Das Fest! Das Fest? Das Fest: alte Menschen auf Parkbänken, hüpfende Kinder, rote Luftballons, Döner, Dosenwerfen am DGB-Stand („Jeder Wurf gewinnt“), eine bemühte Pippi Langstrumpf am Planschbecken vor dem Altonaer Rathaus, eine Dudelsackband und ein SPD-Parteichef Jörg Kuhbier, der dem taz-Redakteur bedeutet: „Aufbruchstimmung – das müssen Sie schreiben!“ Auf dem „Platz der Republik“ läuteten Hamburgs Sozialdemokraten am Samstagnachmittag die heiße Phase ihres örtlichen Bundestagswahlkampfs ein – mit einer Mischung aus Kinderfest, Altennachmittag und Kurkonzert.

Aufbruchstimmung! Aufbruchstimmung? Aufbruchstimmung: Tatsächlich waren diesmal nicht nur die FunktionärInnen gekommen. Mehrere tausend dezent fröhliche Menschen verbreiteten die Atmosphäre einer Wohltätigkeitsveranstaltung, bei welcher der gute Zweck – hier der Wahlsieg der SPD – mit dem eigenen Vergnügensinteresse eine harmonische Verbindung eingeht. Politische Aufbruchstimmung lag nicht in der Luft. Wer gekommen war, sich an der Siegeszuversicht der Sozis zu berauschen oder gar einen Vorgeschmack auf die kommenden 16 Jahre sozialdemokratischer Berlinregentschaft zu bekommen, mußte warten, bis Oskar Lafontaine mitsamt mächtiger sonnenbebrillter Bodyguards die Bühne enterte.

Der Parteichef machte Eindruck, aber anders als früher: Wo er einst mit hochrotem Kopf und fast wütender Stimme im Staccato Fakten und Thesen ins Volk knallte, glänzte jetzt ein souveräner Staatsmann, der weiß, daß er für die Inhalte der künftigen SPD-Politik entscheidende Verantwortung trägt.

Politik! Politik? Politik: Eindringlich, präzise, gelegentlich sogar ein bißchen witzig gelang es Oskar Lafontaine in der dreißigminütigen Kurzvariante einer Wahlkampfstandardrede, einen Hauch von politischer Erkenntnis über den Platz wehen zu lassen: „Wir dürfen nicht nur auf den Export setzen, wir brauchen die Binnennachfrage.“

Der nationalökonomische Kurzlehrgang sorgte bei den mehr als tausend ZuhörerInnen für gespannte Aufmerksamkeit – besonders als Lafontaine versprach, einen Gutteil von Rentenkürzungen, Bafög-Verschlechterungen und Krankheitskostensteigerungen „sofort rückgängig zu machen“, wenn die SPD am 27. September gewinnt. Dabei scheute er sich nicht, die alten SPD-Thesen von der Notwendigkeit sozialer Umverteilung und ökonomischer Gerechtigkeit ganz gegen den Zeitgeist in den Mittelpunkt der Rede und des Festes zu stellen.

Das Fest! Das Fest? Das Fest: Ein bißchen hallten Oskars Worte noch nach, sorgten vereinzelt sogar für Gesprächsstoff auf der Parkbank und am Weißweintresen. Dann wurde wieder gefeiert. Nägel einschlagen beim DGB, Ortwin Runde lauschen, wie er sich als Fan der Rolling Stones outet, Hans Scheibners langweiligen Ergüssen aus dem Weg gehen. Und darauf warten, daß die SPD brav um 22 Uhr „Guten Heimweg!“ wünscht.

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