: „Hallo Profis, habt ihr das gesehen?“
■ St. Paulis Amateure unterliegen zwar Bundesligist Bayer Leverkusen 0:5, bringen aber den von der Zweitligatruppe enttäuschten Anhängern das verlorengegangene Gefühl ans Millerntor zurück
Hamburg (taz) – Man fühlte sich an mythenumwobene Tage erinnert. Kein Tor für die Amateure des FC St. Pauli, dagegen gleich fünf für den Bundesligisten Bayer Leverkusen. Bereits in der ersten Runde des DFB-Pokals gescheitert, die Sensation nicht geschafft. Und? Dennoch wurde am Millerntor ein Fest gefeiert, ganz so, als wäre man zehn Jahre in der Zeit zurückversetzt worden.
Die Euphorie über die Niederlage ging gar soweit, daß die eigentliche Heimmannschaft bitterlich verhöhnt wurde: „Hallo Profis, habt ihr das gesehen?“
Was sollen die Profis denn gesehen haben? Sollen sich Thomforde, Marin, Trulsen und ihre Kollegen etwa ein Beispiel an Amateuren nehmen? Ja, sie sollen, forderte die Anhängerschaft. Denn das hohe Ergebnis täuscht über die Leistung des Nachwuchses ein wenig hinweg. 20,6 Jahre beträgt das Durchschnittsalter des Teams, dessen Gerüst aus Spielern des A-Jugendkaders der letzten Saison besteht. Dieses Team hatte 68 Minuten ein 0:0 gehalten, ehe es mit der Kraft am Ende war, und Kirsten (2), Beinlich, Lehnhoff und Mejer binnen 20 Minuten ein 5:0 herstellten.
Trainer Joachim Philipkowski kennt die alten Tage, er war selbst mal Profi am Millerntor und trotz der Niederlage begeistert von seinen Schützlingen: „Die Jungs haben super gespielt. Am Ende hatten sie keine Energie mehr.“ Auch von Präsident Heinz Weisener gab es Anerkennung für die potentiellen Verstärkungen der unpäßlichen und dezimierten Profitruppe: „Es war beeindruckend, wie frech und mit welchem Einsatz die Mannschaft hier aufgetreten ist“, fand er.
Der Präsident freute sich natürlich nicht zuletzt, weil gute Nachwuchsarbeit immer gleichbedeutend mit finanzieller Entlastung ist, die dem nicht gerade reichen Stadtteilklub nur recht sein kann. Gästecoach Christoph Daum äußerte sich entsprechend: „Der FC St. Pauli macht in der Nachwuchsarbeit alles richtig. Die jungen Spieler sind schließlich auch Kapital des Vereins.“ Schön gesagt. Wenn man es genau nimmt, ist es auch das einzige.
Wenn das Spiel richtungsweisend war, dann im ideellen Sinn. Denn für etliche Fans sind nicht mehr die Profis, sondern die Amateure das, was uniform als Kult bezeichnet wird: Die Mannschaft, die es verdient hat, unterstützt zu werden.
Wo gibt es sonst noch ein eigenes Amateur-Fanzine? „Hossa Fiesta St. Pauli(A)na“ ging am Freitag abend mit einer 1000er- Auflage an den Start, wo der allein verantwortliche Sven Klein sonst doch eher 200 Ausgaben im Schnippellayout zu den Heimspielen drucken läßt. Schade, daß nur 4.900 Zuschauer den Relaunch der guten Stimmung im Wilhelm- Koch-Stadion mitbekamen.
Doch diese Zahl ist bezeichnend für die derzeitige Situation beim FC St. Pauli. Die Profimannschaft vergrault ihre Besucher durch miese Vorstellungen, Petrus ist HSV-Fan, und vergleicht man das Millerntor mit dem Stadion des Konkurrenten, so kommt man zu dem Ergebnis, daß selbst eine Baustelle gemütlich sein kann.
An dem harten Kern von 150 Amateur-Anhängern wird sich freilich auch nach diesem Spiel nur wenig ändern, auch wenn die Spieler noch eine Stunde nach Abpfiff, nur mit Handtuch und Badelatschen bekleidet, mit rund 1.000 Leuten einen Sangeswettstreit abhielten. Am nächsten Wochenende steht wieder der Oberligaalltag auf dem Programm. Der Gegner heißt Rasensport Elmshorn.
Die nutzlose Euphorie über eine Niederlage weicht aber immerhin der süßen Melancholie, dabeigewesen zu sein. Und endlich einmal beim Fußball wieder etwas gefühlt zu haben. Mike Glindmeier
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